Macht emotionale Intelligenz uns erfolgreicher?
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Ein Brainstorming steht an. Ihr Team wartet bereits auf Sie. Sie betreten den Konferenzraum. Ohne, dass ein Wort fällt, wissen Sie: Irgendetwas ist hier gerade passiert. Spannungen liegen in der Luft. Denkbar ungünstige Voraussetzungen für eine Brainstorming-Session. Denn: „Besonders kreativ ist man, wenn man in einer guten Stimmung ist“, sagt Dr. Myriam Bechtoldt, Psychotherapeutin und Professorin für Leadership an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht.
Jetzt ist die Frage: Was machen Sie aus dieser Information, dass vor Ihrem Eintreten etwas Negatives vorgefallen sein muss? Schaffen Sie es, die Stimmung im Raum zu drehen, sodass eine produktive Arbeitsatmosphäre entsteht? Dann ist das in jedem Fall ein Zeichen Ihrer emotionalen Intelligenz. Bechtoldt: „Emotionale Intelligenz ist die Fähigkeit, nonverbal kommunizierte Emotionen wahrzunehmen, zu verstehen und zielgerichtet mit ihnen umzugehen.“
Forscht zu emotionaler Intelligenz: Prof. Dr. Myriam Bechtoldt. (Foto: VBG/Lena Everding)
Was verbinden wir mit emotionaler Intelligenz?
Erfolgsfaktor im Job, soziales Band, Schlüsselkompetenz für Konfliktlösungen: Seit der US-amerikanische Psychologe und Bestsellerautor Daniel Goleman emotionale Intelligenz Mitte der 1990er Jahren populär gemacht hat, wurde viel über die vermeintliche Superkraft diskutiert. Was ist eigentlich der Unterschied zu klassischer Intelligenz? „Kognitive Intelligenz hilft uns, die Lösung zu einem Problem zu finden, beispielsweise eine Matheaufgabe zu meistern. Also bei der Bewältigung von Aufgaben, die nichts mit Emotionen zu tun haben“, erklärt die Psychologin. „Emotionale Intelligenz hilft uns dagegen, die Gefühle anderer, aber auch unsere eigenen Gefühle wahrzunehmen und einzuordnen. Sie verhindert, dass sie uns negativ beeinflussen.“
Wahrnehmungsgeschwindigkeit, logisches Denken, Zahlen- und Sprachverständnis, Gedächtnis – all dies sind Dimensionen von allgemeiner Intelligenz. Bechtoldt: „Ihr Gehirn ist quasi Ihre Hardware, Ihr Intelligenzpotenzial, mit dem Sie zur Welt kommen. Alles andere, was Sie anschließend erwerben, beispielsweise mathematisches oder sprachliches Verständnis, ist eine Software, die Sie auf die Hardware aufspielen – genauso wie der Umgang mit Emotionen.“ Und damit ist klar: Wir sind nicht von Natur aus emotional intelligent, sondern müssen diese Fähigkeit erst erlernen.
Wie trainieren wir diese Kompetenz?
Der erste Schritt: Sich bewusst machen, dass Gefühle uns ständig begleiten. Bechtoldt: „Seit der Aufklärung leben wir in einer Kultur, die von dem Satz geprägt ist: Ich denke, also bin ich. Und nicht: Ich fühle, also bin ich. Das wirkt sich auch auf unseren Arbeitsalltag aus: Gute Entscheidungen zu treffen, verlangt vermeintlich, vollkommen rational im Sinne von ‚nicht emotional‘ zu agieren. Das ist aber ein Trugschluss.“ Was Studien laut der Expertin belegen: Je stärker wir unsere Gefühle unterdrücken oder ignorieren, desto mehr kontrollieren sie uns und beeinflussen unser Verhalten auf negative Weise.
Die Forschung zeigt auch: Positive Emotionen können im Arbeitsalltag zum Booster für Motivation, Kreativität und Innovation in Teams werden. „Daher sollte es im Interesse jedes Unternehmens liegen, die Emotionen seiner Beschäftigten wahrzunehmen und positiv zu beeinflussen“, erklärt Bechtoldt. Auch im privaten Umfeld könne emotionale Intelligenz zum Motivationsmotor werden. Ein Beispiel? „Nach der Arbeit kommen Sie nach Hause. Eigentlich wollten Sie zum Joggen. Stattdessen zieht es Sie zum Kühlschrank. Wenn Sie wahrnehmen können, dass Sie in Wahrheit keinen Hunger haben, sondern dass Sie frustriert darüber sind, wie Ihr Arbeitstag gelaufen ist, können Sie sich von Ihrem gefühlten Heißhunger distanzieren. Jetzt können Sie Ihre Entscheidung noch einmal überdenken – weil Ihre Emotionen weniger Kontrolle über Sie haben.“
Was einen emotional intelligenten Menschen also auszeichnet, ist seine ausgeprägte Wahrnehmungsfähigkeit. Zudem ist er in der Lage, Informationen über bestehende Gefühle differenziert zu betrachten und bewusst zu nutzen, so die Psychologin: „Man muss den Unterschied kennen zwischen Ärger und Frustration, um sie einordnen zu können. Zum Beispiel, wie sie entstehen und wie man mit ihnen umgeht.“ Basiswissen, das Emotionsmanagement ermöglicht – etwa um Strategien zu entwickeln, wie sich Kolleginnen oder Kollegen beruhigen lassen.
Aber ist emotionale Intelligenz wirklich der Erfolgsfaktor schlechthin?
Nein! Die Forschung belegt eindeutig: Emotionale Intelligenz ist wichtig und kann unseren beruflichen Erfolg fördern. Aber: „Sie ist nicht der wichtigste Faktor. Das ist mit Abstand kognitive Intelligenz“, sagt die Expertin – gefolgt von einem Persönlichkeitsmerkmal wie Gewissenhaftigkeit: „Bei Bewerberinnen und Bewerbern sollten Unternehmen daher eher kognitive Intelligenz messen. Diese stellt sicher, dass sie die Personen einstellen, die in der Lage sind, den Job zu machen.“ In einem zweiten Schritt kann es sinnvoll sein, auch die emotionale Intelligenz zu testen – etwa, wenn alle die für den Job notwendige kognitive Intelligenz besitzen: „Emotionale Intelligenz kann den persönlichen Erfolg steigern, indem sie uns beispielsweise hilft, selbstdiszipliniert zu sein“, so Bechtoldt.
Und sie hat das Potenzial, zum Kitt des Teams zu werden, zur besonderen Eigenschaft, die auch bei Führungskräften als positiv wahrgenommen wird. Außerdem kann sie sogar eine Möglichkeit sein, eigene kognitive Schwächen auszugleichen. Aber: Wer emotional intelligent ist, ist nicht automatisch nett, ergänzt Bechtoldt: „Mit den Gefühlen anderer Menschen umgehen zu können, kann bedeuten, dass ich ihr Wohlbefinden steigern möchte. Es kann aber auch bedeuten, nur meinen eigenen Vorteil stärken zu wollen.“
Abgesehen von möglichen Egotrips im Team fördert emotionale Intelligenz in jedem Fall gesundes Arbeiten. Wer nachhaltig mit den eigenen persönlichen emotionalen Ressourcen umgeht, schafft schlechte Bedingungen für Erschöpfung und Burnout – und gute für ein konfliktfreies Miteinander am Arbeitsplatz.
Gefühle wahrnehmen, verstehen und steuern? Können Sie lernen. Dr. Myriam Bechtoldt hat fünf Tipps, wie Sie Ihre emotionale Intelligenz und die Ihrer Beschäftigten pushen können.
1. Emotionen erraten: Üben Sie gemeinsam mit Ihren Kolleginnen und Kollegen in einem Rollenspiel, ein bestimmtes Gefühl nur mit Gesichtsausdrücken, Stimme und Körperhaltung zu kommunizieren. Lassen Sie die Zuschauenden raten, um welche Emotion es sich handelt. Das trainiert die Wahrnehmung.
2. Perspektive übernehmen: Fragen Sie während des Rollenspiels eine Zuschauerin oder einen Zuschauer: „Was glaubst du, wie fühlt es sich an, in dieser Position deiner Kollegin oder deines Kollegen zu sein?“ So fördern Sie das Verständnis und Miteinander im Team.
3. Konflikte lösen: Trainieren Sie Konfliktmanagement. Denn jedes Training ist ein Umgang mit Emotionen: Wer Konflikte mit anderen hat, muss mit negativen Emotionen umgehen. Strategien, die dies ermöglichen, können Sie im Team erlernen und ausprobieren.
4. Eigene Emotionen erspüren: Nehmen Sie sich jeden Tag ein paar Momente Zeit, darüber nachzudenken: Wie geht es mir gerade? „Schlecht“ zum Beispiel reicht als Antwort aber nicht aus – differenzieren Sie. Zum Beispiel: Ich fühle mich entmutigt/hoffnungslos/verärgert. Das sensibilisiert Sie für Ihr psychisches Befinden.
5. Gefühle aushalten: Sie sind sich Ihrer Emotionen bewusst? Sehr gut! Denn das bewusste Betrachten der Gefühle ist der beste Schritt, um sich nicht von ihnen steuern zu lassen. Das gibt Ihnen Kontrolle und macht Sie stärker im Umgang mit Ihren Emotionen. Dies gelingt zum Beispiel mit Achtsamkeitsmeditation.
Tipps für Konfliktmanagement finden Sie hier. Mehr über das Thema Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz und die Hilfsangebote der VBG lesen Sie auf der VBG-Website.