Keine Angst vor dem digitalen Wandel
Veröffentlicht am
Veröffentlicht am
Textprogramme nutzen, Informationen im Web finden, Fotos per Smartphone versenden – klingt einfach, oder? All das zählt zu den grundlegenden digitalen Fähigkeiten, die heute möglichst jede und jeder beherrschen sollte. Die Realität sieht anders aus: Nur die Hälfte der Deutschen verfügt laut dem aktuellen vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Digital-Index über alle fünf digitalen Basiskompetenzen. Zu wenig. Bis 2030 soll diese Zahl europaweit auf 80 Prozent steigen. Denn klar ist: Digitale Fähigkeiten sind eine Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an der digitalen Gesellschaft und zentraler Treiber für Resilienz im digitalen Wandel. Auch im Arbeitskontext. Doch wie können wir mit der durch Neuerungen in der künstlichen Intelligenz (KI) befeuerten Entwicklung überhaupt noch mithalten, wenn schon bei simpleren Fähigkeiten viel Luft nach oben ist?
Als Leiterin des Center for Responsible Research and Innovation (CeRRI) beim Fraunhofer IAO beschäftigt sich Katharina Hochfeld damit, wie Transformations- und Innovationsprozesse verantwortlich gestaltet werden können. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Erforschung von unternehmenskulturellen Veränderungsprozessen vor dem Hintergrund technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen. (Foto: Fraunhofer-Gesellschaft e. V./ Studio Monbijou)
Eine Frage, mit der sich auch Katharina Hochfeld beschäftigt. Sie leitet den Berliner Standort des Fraunhofer IAO und den Bereich „Unternehmenskultur und Transformation“ und begleitet Unternehmen bei Veränderungsprozessen. Hier ist KI zurzeit einer der größten Treiber. „Der Transformationsdruck durch künstliche Intelligenz ist hoch“, sagt die Organisationsentwicklerin, „denn KI wirkt sich auf viele Organisationsebenen aus, von den Prozessen bis zu den Produkten.“ Und natürlich: auf die Mitarbeitenden. Die stehen für Hochfeld und ihr Team im Zentrum ihrer Forschung und Beratung – und sie stehen unter Druck. Die Entwicklung generativer KI krempelt den Arbeitsalltag vieler Beschäftigter seit einiger Zeit gehörig um. Das sorgt für Unsicherheiten.
Die KI-Revolution: rasend schnell und (fast) überall
Zwar gibt es den digitalen Wandel nicht erst seit Kurzem, die aktuelle Entwicklung ist aber eine besondere: Sie geht nicht nur rasend schnell vonstatten, sondern betrifft auch fast alle Jobs. „Früher hieß es, einfache Tätigkeiten würden irgendwann automatisiert, komplexe dagegen seien sicher“, sagt Hochfeld. „Niemand hätte gedacht, dass auch Softwareentwickler eines Tages ersetzt werden könnten.“ Das sei der große Unterschied, den generative KI mit sich bringt. Und der sorgt bei den Beschäftigten vor allem für einen hohen anhaltenden Qualifikationsdruck, oft auch für ein Gefühl der Überforderung. Hochfeld bringt es auf den Punkt: „Selbst wenn ich letztes Jahr noch halbwegs Schritt halten konnte, habe ich heute vielleicht schon das Gefühl, ich wüsste gar nichts mehr.“
Selbstkompetenz als Schlüssel zum Erfolg
Der latent drohende Skill Gap, also die Diskrepanz zwischen den eigenen Fähigkeiten und den Anforderungen der Arbeit, kann direkte Folgen für Beschäftigte haben. Es drohen Stress, Demotivation und Unzufriedenheit bis hin zur Angst vor Arbeitsplatzverlust. „Wir wissen, dass die Arbeitszufriedenheit stark mit dem Thema Empowerment zusammenhängt“, sagt Hochfeld. „Fühle ich mich selbstkompetent, bin ich selbstbestimmt in meinem Beruf? Dann bin ich in der Regel zufriedener mit meiner Arbeit.“ Dieses Gefühl der Selbstkompetenz wird heute oft stark infrage gestellt, wenn Beschäftigte denken, ihre Aufgaben nicht mehr so gut oder so schnell lösen zu können, wie es von ihnen erwartet wird – weil ihnen die entsprechenden KI-Skills fehlen.
Empfinden Beschäftigte eine verminderte Selbstkompetenz, sinkt in der Regel nicht nur ihre Arbeitszufriedenheit. In der Folge leiden zum Beispiel meist auch Innovationsfähigkeit und Motivation, so Hochfeld. Das wiederum schade den Unternehmen direkt. Die Selbstkompetenz ihrer Mitarbeitenden unter den sich verändernden Bedingungen zu erhalten und zu stärken, sieht Hochfeld daher als eine der drängendsten Unternehmensaufgaben im digitalen Transformationsprozess.
Vielfältige Angebote und günstige Rahmenbedingungen schaffen
Ein zentraler Schlüssel dafür liegt in der Weiterbildung der Belegschaft. Wichtig sei dabei ein Mix verschiedener Qualifizierungsangebote, der die unterschiedlichen Lerntypen anspricht – neben klassischen Gruppenschulungen auch solche zum individuellen Lernen, etwa Videos oder interaktive Tools. „Denn nicht alle fühlen sich in der Gruppe wohl, manchen ist es vielleicht peinlich, dass sie noch keine oder kaum Kenntnisse haben“, so Hochfeld.
Neben den Formaten sei daher auch etwas anderes entscheidend: eine Kultur psychologischer Sicherheit. Gerade bei der Einführung neuer Technologien ist es wichtig, Fehler machen und darüber reden zu dürfen, Dinge gemeinsam auszuprobieren und sich gegenseitig wertzuschätzen – egal auf welchem Level man sich befindet. Studien zufolge sind mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in solch einer Arbeitsumgebung eher bereit, an Veränderungen aktiv teilzunehmen.
Überhaupt: die Unternehmenskultur. Zu den wichtigen Rahmenbedingungen für die digitale Transformation gehört für Hochfeld auch, dass Unternehmen ihren Beschäftigten Zeit für die Veränderung einräumen. Und auch in Kauf nehmen, dass der Output vielleicht zwischenzeitlich etwas geringer wird. In der aktuellen Wirtschaftslage sei das sicher nicht ideal, aber nach Einschätzung der Forscherin unerlässlich: „Wer jetzt nicht in die Transformation investiert, hat in drei Jahren ganz andere Probleme.“ Und: Nur so könne man den Druck von den Beschäftigten nehmen.
„KI gibt uns die Möglichkeit, Dinge abzugeben, die wir nicht gerne machen und die uns Zeit rauben. Zeit, die wir für komplexere, interessantere und innovativere Tätigkeiten nutzen können.“
Tandems und KI-Champions für den internen Wissenstransfer
Dabei muss es nicht immer das einwöchige KI-Camp sein, mit dem die Belegschaft aufgeschlaut wird. Als effektiv haben sich in Hochfelds Erfahrung gemeinsame Trainings on-the-job gezeigt. Zum Beispiel das Peer-Learning. Dabei bilden jeweils erfahrenere und weniger firme Beschäftigte Tandems und wenden KI-Wissen direkt im Arbeitsalltag an. „Schulungen mit externen Coaches sind sehr punktuell, das Gelernte droht, schnell vergessen zu werden“, so Hochfeld. Beim Peer-Learning dagegen lernen Beschäftigte kontinuierlich an Aufgaben, die sie auch wirklich bearbeiten müssen. „Beschäftigte, die Spaß an KI haben und gleichzeitig den Arbeitsalltag der Kolleginnen und Kollegen kennen, können Wissen oft viel effektiver vermitteln.“ Das ist nicht nur günstiger als externe Trainings, sondern stärkt auch das Miteinander.
Als weitere Good Practice, um die Belegschaft intern zu qualifizieren, empfiehlt Hochfeld „KI-Champions“: Vorreiterinnen und Vorreiter in Sachen KI, die Lust darauf haben, ihr Wissen auszubauen und weiterzugeben. „Die gibt es eigentlich in allen Arbeitsbereichen und sie sind in der Regel hochmotiviert“, sagt Hochfeld. Werden diese Teammitglieder fortgebildet und befähigt, ihr Wissen im Unternehmen weiterzuvermitteln, können sie zu Schlüsselpunkten im Wissenstransfer werden.
Keine Angst vor Digitalisierung: KI als Chance
Dass sich das lohnt, davon ist Hochfeld überzeugt. Nicht nur, um einer Überforderung zu begegnen, sondern um die Potenziale zu nutzen, die KI bietet. „Angesichts einer zunehmenden Arbeitsverdichtung haben die meisten von uns doch nicht zu wenig, sondern zu viel zu tun“, versucht die Transformations-Expertin potenzielle Sorgen davor, durch KI ersetzt zu werden, zu nehmen. Entscheidend sei es, beim Thema KI in die Gestaltungsrolle zu kommen. Genau darin liege nämlich die Chance: „KI gibt uns die Möglichkeit, Dinge abzugeben, die wir nicht gerne machen und die uns Zeit rauben. Zeit, die wir für komplexere, interessantere und innovativere Tätigkeiten nutzen können.“
Die Aufgabe, sich zu überlegen, was genau das sein könnte, wofür Teams KI einsetzen wollen und was dadurch besser werden kann, sieht Hochfeld vor allem bei den Führungskräften. „Sie sollten – am besten gemeinsam mit ihren Teams – konkrete Use Cases für den Einsatz von KI definieren.“ Und sich auch gemeinsam darüber klar werden, was sie als Menschen gegenüber KI auszeichnet. Zum Beispiel Empathie, Teamwork und Miteinander oder die Fähigkeit, Handlungsspielräume zu erkennen und zu nutzen. Hochfeld: „Ich bin überzeugt: Wenn wir in diese Handlungsgrolle kommen, wenn wir definieren, wie KI uns in dem, was wir als Menschen leisten, unterstützen kann, müssen wir keine Angst vor ihr haben.“