
Die Expertin der Berufsgenossenschaft: Christine Ramsauer von der VBG
„Nach der ständigen und aktuellen Rechtsprechung des BSG sind im Homeoffice alle Tätigkeiten versichert, die mit der Handlungstendenz ausgeübt werden, dem Unternehmen zu dienen beziehungsweise die betrieblichen Aufgaben zu erfüllen. Dies muss durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt werden. Man spricht hier von der sogenannten objektivierten Handlungstendenz. Der Versicherungsschutz gilt ebenfalls für Wege innerhalb des häuslichen Bereichs, wenn sie aus betrieblichen Gründen zurückgelegt werden. Hier spricht man von sogenannten Betriebswegen, also zum Beispiel, wenn ein Beschäftigter von der Küche zu seinem häuslichen Arbeitsplatz geht, um über den dort befindlichen Computer zu einem fest vereinbarten Zeitpunkt eine Videokonferenz mit dem Chef und den Kolleginnen und Kollegen zu führen.

Christine Ramsauer, Expertin Versicherung und Leistungen
Foto: VBG/Oliver HardtTätigkeiten, die nicht mit der Handlungstendenz ausgeübt werden, betrieblichen Interessen zu dienen, sind nicht versichert. Dazu gehören eigenwirtschaftliche Tätigkeiten, wie zum Beispiel sich etwas zu trinken zu holen und hierfür in die Küche zu gehen oder der Gang zur Toilette. Das BSG hat entschieden, dass die von der privaten Wohnung und damit dem persönlichen Lebensbereich ausgehenden Risiken von den Versicherten selbst und nicht vom Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin – anders als auf der Unternehmens-/Betriebsstätte – zu verantworten sind.
Auch Wege aus dem Homeoffice und zurück sind versichert, zum Beispiel um Arbeitsergebnisse in die Betriebsstätte zu bringen oder dort neue Aufträge abzuholen (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist die Außenhaustür hierbei maßgeblicher Start- und Endpunkt der versicherten Tätigkeit. Sie bildet die Grenze zwischen dem unversicherten häuslichen Lebensbereich und dem versicherten Zurücklegen eines Weges im öffentlichen Verkehrsraum.
Nicht versichert sind bei der derzeitigen Rechtslage allerdings die Wege aus dem Homeoffice und zurück, wenn sie erfolgen, um wegen der beruflichen Tätigkeit im Homeoffice Kinder fremder Obhut anzuvertrauen, sie also zum Beispiel in den Kindergarten zu bringen. Diese Rechtslage könnte nur der Gesetzgeber ändern.“
Der Arbeitgebervertreter: Herbert Schulte, Landesgeschäftsführer NRW des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft

Herbert Schulte vom BVMW fordert aktuell Entlastungen statt Regulierungen für Unternehmen.
Foto: BVMW„Moderne Kommunikationstechnologien erweitern unsere Handlungsspielräume. Gerade bei uns im Mittelstand wurde während der Krisentage deutlich, dass wir gut beraten sind, die uns zur Verfügung stehenden Mittel – von Cloud-Lösungen über Blockchain-Technologie bis hin zu ganz alltäglichen Prozessen wie Videokonferenzen oder die Nutzung des Homeoffice/mobiler Arbeit – noch stärker in unsere betrieblichen Abläufe einzufügen. Stets flexibel zu sein bedeutet, sich gegen externe Schocks schützen zu können. Jeder Unternehmer und jede Unternehmerin muss sich die Fragen stellen: ‚Was nutzt dem Betrieb, wo lassen sich Ressourcen sparen, was können wir vereinfachen?‘ Daraus leitet sich dann die Frage ab: ‚Wo und in welche Lösungen wird investiert?‘ Dieser Findungsprozess ist ein offenes Entdeckungsverfahren. Wir brauchen maximale Spielräume, um im täglichen Geschäft auszuloten, mit welchen Strukturen, und da spielt das Homeoffice eine große Rolle, wir Erfolge erzielen werden.
Dass der Gesetzgeber, bereits bevor sich das Homeoffice als fester Baustein im Unternehmensalltag etablieren konnte, mit Regulierungen, Arbeitsstättenverordnungen und Zeitmessungszwang als der große Verhinderer in Erscheinung tritt, zeigt nur eines: Die Politik hält konsequent Distanz zur ökonomischen Lebensrealität der Mehrheit der Menschen, die in kleinen und mittleren Unternehmen mit weniger als 25 Mitarbeitenden arbeiten. Wir wissen, dass nur ein freies Handeln das Wohl aller Beteiligten fördert, dass in unseren Betrieben verantwortungsvoll und in fairem Umgang miteinander gearbeitet wird. Der Staat sollte diesen Prozess durch Investitionen in die digitale Infrastruktur unterstützen und nicht als der große Alleswisser und Über-Regulator im Wege stehen!“
Der Gewerkschafter: Oliver Suchy, Abteilungsleiter Digitale Arbeitswelten und Arbeitsweltberichterstattung und Mitglied des Bundesvorstands beim Deutschen Gewerkschaftsbund
„Homeoffice erlebt in diesen Zeiten eine Beschleunigung von nahezu null auf hundert. Für viele ein echter Segen, weil die Präsenzkultur in vielen Betrieben diese selbst gewählte Flexibilität für Beschäftigte bislang oft verhindert hat. Die Zahl derer, die selbst gewählt zu Hause arbeiten, stagniert seit Jahren auf niedrigem Niveau. Plötzlich ist alles anders, doch auch auf einem guten Weg? Homeoffice – läuft von selbst? Die Wissenschaft zeigt bislang das Gegenteil. Homeoffice führt in der überwiegenden Mehrheit zu mehr Stress, ungesunden Arbeitszeiten und mehr unbezahlten Überstunden. Zudem sind Versicherungs- oder Datenschutzfragen bislang weitgehend ungelöst, auch wenn aus der Not heraus oft gleich beide Augen zugedrückt werden. Doch dies sollte eine Ausnahmesituation bleiben.

Der studierte Politikwissenschaftler Oliver Suchy ist seit 2001 für den DGB tätig.
Foto: Andreas SchebestaHomeoffice ist anspruchsvoll. Führung und Kommunikation auf Distanz, arbeitszeitadäquate Aufgabeneinteilung, Belastungsbegrenzung oder Trennung zwischen Arbeitszeit und Privatleben sowie Umgang mit sozialer Isolation: Die Liste zur Gestaltung von guter Arbeit im Homeoffice ist lang. Und dafür braucht es neben einer neuen Vertrauenskultur vor allem Regeln. Es wäre ein folgenschwerer Fehler, wenn die Ausnahmesituation in der Krise dazu führt, dass ‚Wildwest‘ beim Homeoffice zum Standard erklärt wird.
Ein aktuelles Beispiel ist Homeoffice und Kinderbetreuung: Beschäftigte mit kleinen Kindern, die von Kita- oder Schulschließungen betroffen sind, werden von aktuellen Sonderentschädigungen ausgeschlossen, nur weil sie die Möglichkeit haben, zu Hause zu arbeiten. Alle, die Kinder haben, wissen, dass Kinderbetreuung genauso wenig nebenbei erledigt werden kann wie die Arbeit, während Kinder durch die Wohnung toben. Als Betreuungsmodell ist Homeoffice denkbar ungeeignet.
Die Annahme, dass die Arbeitsabläufe reibungslos und konfliktfrei auf Homeoffice umgestellt werden können, wäre so, als würden wir erwarten, dass wir uns alle plötzlich gegenseitig die Haare schneiden können. Nicht umsonst gibt es das Friseurhandwerk, denn im Prinzip kann zwar jeder eine Schere bedienen, aber an unsere Frisur lassen wir deshalb noch lange nicht jeden. Auch Homeoffice will gekonnt sein – von und für beiden Seiten. Nicht umsonst gibt es sehr gute Tarifverträge, bei denen sich die Sozialpartner auf sinnvolle Regeln geeinigt haben. Diese Regeln sollte der Gesetzgeber zum Standard machen – nicht umgekehrt.“
Weitere Infos:
Einblick in die unterschiedlichen Definitionen von mobiler Arbeit und Telearbeit in unserem Erklärstück.
Mehr zum Versicherungsschutz im Homeoffice finden Sie hier.
Veröffentlicht am