
Der Ablauf ist Unternehmen der Zeitarbeitsbranche bestens bekannt: Die Disponentin oder der Disponent fährt mit Stift und Zettel zum Einsatzbetrieb und begutachtet vor Ort, wie Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Unterweisungen umgesetzt werden. Wieder zurück im Büro, werden die handschriftlichen Notizen am Computer über die entsprechende Software ins System übertragen. Zweimal nimmt man diese Daten also buchstäblich in die Hand. Bei einem Folgebesuch beginnt der gleiche Prozess erneut. Das muss einfacher gehen, überlegte man sich bei Hofmann Personal. In der Nürnberger Firma wird im Rahmen einer Digitalisierungsstrategie regelmäßig geprüft, was man mithilfe digitaler Technik vereinfachen, verbessern und sicherer machen kann – Geschäftsführerin Ingrid Hofmann treibt dieses Thema aktiv voran. Eine App existiert schon im Betrieb, mit der unter anderem Gleitzeit- oder Urlaubsanträge gestellt werden können. Mit der Idee, diese um ein Modul für die Gefährdungsbeurteilung zu erweitern, wandte sich Hofmann an die VBG. Das war schließlich der Auslöser für ein gemeinsames Forschungsprojekt des Unternehmens mit der VBG und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Letztere sollte die Wirkung einer solchen App anhand verschiedener Kriterien wissenschaftlich evaluieren.
Jede App braucht ein klares Ziel

Ute Günther ist leitende Fachkraft für Arbeitssicherheit und Mitglied im Executive Committee bei Hofmann Personal.
Foto: VBG/Alexandra Baier„Mit der App hatten wir von Anfang an ein klares Ziel“, erzählt Ute Günther. „Wir wollten unseren Personaldisponentinnen und -disponenten den Prozess der Gefährdungsbeurteilung und der Begehungen erleichtern, indem wir die Abläufe weiter verschlanken. Gleichzeitig musste sichergestellt sein, dass unsere Zeitarbeitskräfte optimal geschützt sind.“ Um das zu erreichen, brauchte es einiges an Vorarbeit. Ganz besonders wichtig: die Anforderungen an die App festzulegen. Im Kern soll die Gefährdungsbeurteilung vor Ort komplett mit der Applikation durchgeführt werden. Alle Daten werden also ins Smartphone eingegeben und landen so direkt im IT-System des Betriebs. Beim Folgebesuch sind sie in der App mit dabei und müssen darin – wenn nötig – lediglich angepasst werden. Der Zugriff und die Eingabe erfolgen also stets in Echtzeit, das Nachtragen am Computer entfällt. Damit die Anwendung möglichst reibungslos und eindeutig funktioniert, mussten im Aufbau der App einige zentrale Dinge berücksichtigt werden: „Ein Beispiel ist Userführung“, erläutert Ute Günther, „denn das Thema ist an sich schon komplex. Also müssen die Nutzerinnen und Nutzer möglichst selbsterklärend durch die Anwendung geführt werden.“ Neben Textfeldern zur freien Formulierung gibt es also auch einige Angaben, die per Checkbox oder Drop-down-Menü mit einem Klick abgehakt werden können. Ein Feature begeistert die Nutzerinnen und Nutzer und auch Ute Günther besonders: Die Freitextfelder können per Spracheingabe gefüllt werden. „Das war für mich von Anfang an eine Voraussetzung: Man sollte so wenig wie möglich tippen müssen. Das Sprechen geht schnell und unkompliziert – und das steigert die Motivation.“ Fast ein Jahr hat die Entwicklung mit allen Testrunden gedauert. Doch die Zeit brauchte es laut Ute Günther auch. Da Hofmann Personal von der Chemie über die Automobilbranche bis hin zur Lebensmittelindustrie den gesamten Arbeitsmarkt bedient, müssen alle entsprechenden branchenspezifischen Merkmale berücksichtigt werden. Zudem muss eine App so flexibel sein, dass bei einer möglichen Gesetzesänderung die Prozesse und Abfragen entsprechend kurzfristig angepasst werden können.
„Mir geht nichts verloren“

Mit der App sind die Daten der Gefährdungsbeurteilung leicht zu erfassen und zu jeder Zeit verfügbar.
Foto: VBG/Alexandra BaierUnd wie kommt die App bei ihren Nutzerinnen und Nutzern an? Offenkundig und positiv ist für alle die Zeitersparnis und die Reduzierung von Administration, weiß Ute Günther zu berichten. Ein Feedback, das sie erhielt, fasst den Auftrag der App gut zusammen: „Mir geht nichts verloren.“ Auch der Einsatz zeitgemäßer Mittel gefällt vielen gut. Die Evaluation im Rahmen des Forschungsprojekts ermittelte zudem ein Plus an Sicherheit. Einerseits werde der Verlust von Daten minimiert, andererseits haben die Informationen eine höhere Qualität, da sie direkt vor Ort, also realitätsnah erfasst und gespeichert werden. Erinnerungslücken gibt es quasi nicht.
„Wie sich das Ganze langfristig auf die Unfallzahlen auswirkt, wird sich noch zeigen“, berichtet Ute Günther. Im kurzen Zeitraum der Studie, in dem durch die Pandemie generell weniger Besichtigungen stattfanden, gibt es hier noch keine verlässliche Datengrundlage. Das Potenzial der App ist jedoch erwiesen, weshalb Hofmann Personal für das Projekt im Rahmen des VBG-Prämienverfahrens eine Prämie erhielt.
Beschäftigte früh einbinden
„Natürlich gab es auch ein paar Akzeptanzprobleme“, beurteilt Ute Günther den Ablauf. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und Veränderung bedeutet für manchen erst mal nichts Gutes.“ Umso wichtiger war es, dass sie und ihr Team die Beschäftigten frühzeitig einbezogen und viel mit ihnen kommuniziert haben. Für ratsam hält Ute Günther es außerdem, dass eine Gruppe von Mitarbeitenden auch an den Tests während der Entwicklung teilnimmt. Wer auf diese Weise selber an der App mitgearbeitet habe, nehme sie viel eher an. Neben offiziellen Schulungen zur Nutzung können solche Key-Userinnen und -User dann auch andere Beschäftigte auf kurzem Weg dabei unterstützen, die App kennenzulernen und erfolgreich anzuwenden. Ist der Anfang erst einmal gemacht, kann sich keiner mehr den Weg zurück zum Papier vorstellen.
Zeitarbeit: Unterweisungstools richtig einsetzen
Bei Personaldienstleistern werden verstärkt digitale Unterweisungstools eingesetzt, die die Mitarbeitenden am Handy oder am PC auf ihren Einsatz bei der Kundin beziehungsweise beim Kunden vorbereiten. Die VBG-Fachinformation „Digitale Unterweisung – Rahmenbedingung für eine sinnvolle Nutzung in der Zeitarbeit“ erläutert, wie digitale Tools zum Bestandteil einer guten Einsatzvorbereitung werden.
„Eine digitale Anwendung allein kann den persönlichen Kontakt im Prozess der Unterweisung nicht ersetzen. Der Mehrwert liegt vielmehr in der Kombination beider Mittel: Ein interaktives Unterweisungstool kann ein erster wichtiger Schritt sein. Es sollte aber zusätzlich immer ein persönliches Gespräch geben, bei dem Feedback zum digitalen Lernen möglich ist und weitere mögliche Fragen erörtert werden“, so Carsten Zölck, VBG-Präventionsexperte für die Zeitarbeit. „Erst dann ist eine Unterweisung vollständig!“
Der Präventionsexperte betont, es gehe bei einer Unterweisung stets um die Gesundheit und die Sicherheit der Beschäftigten der Zeitarbeitsfirmen. Sie arbeiten häufiger an anderen Orten, mit fremden Kolleginnen und Kollegen, haben manchmal kaum Gelegenheit, sich in wenig vertrauten Umgebungen zu akklimatisieren. Zölck: „Nach einer guten Unterweisung – egal, ob mit oder ohne digitale Unterstützung – gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut vorbereitet und mit ihrem Arbeitgebenden im Rücken zum Einsatz bei der Kundin oder beim Kunden.“
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