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Kerstin Budde und Joachim Lux, Intendant des Thalia Theaters stehen auf der Bühne.
Foto: VBG/Oliver Hardt

Theaterbetrieb in PandemiezeitenDrama mit Happy End

Nachdem alle Theater im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie geschlossen wurden, hatte das Hamburger Thalia Theater den Probenbetrieb als erstes Haus in Deutschland wieder aufgenommen. Was bedeuten die veränderten Bedingungen hinsichtlich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz? Ein Blick hinter die Kulissen.

Thalia Theater Aufzählung der Prämien

Endlich wieder spielen. Ende August geht es wieder los.

Foto: VBG/Oliver Hardt

Wer sich dem Hamburger Thalia Theater in Pandemie­zeiten nähert, entdeckt auf den ersten Blick kaum etwas Außer­gewöhnliches. Theater­plakate weisen auf kommende Produktionen hin. Die Daten verwirren. März, April, Mai. Ist das nicht alles schon vorbei? Im Schau­fenster findet sich ein Hinweis: „Kein Spiel­betrieb bis 30. Juni.“ Damit folgt das Theater der Allgemein­verfügung der Gesund­heits­behörde Hamburg, um die Stadt vor einer Verbreitung des Corona­virus zu bewahren. „Theater­leute gehen gern davon aus, dass Theater das Wichtigste auf der Welt sind. Aber natürlich ist das Menschen­leben viel wichtiger“, begründet Intendant Joachim Lux seine Entscheidung, am 13. März 2020 zunächst den Betrieb im ganzen Haus lahm­zu­legen. „Die Proben wurden uns von der Stadt nicht untersagt, sondern die habe ich – und zwar von einer Sekunde auf die nächste – offensiv eingestellt und gesagt, jetzt gehen einfach mal alle nach Hause“, blickt er zurück. „Alle waren verängstigt.“

Die Schockstarre dauerte allerdings nur kurz. „Die Schauspielerinnen und Schauspieler haben sofort auf Video­proben umgestellt. Das war ein Zufall, weil eine junge Regisseurin das vor­geschlagen hatte“, erinnert sich Lux, der das Haus seit 2009 führt. Seit dem 11. Mai sind auch im Theater wieder Stimmen zu hören. Es wird wieder geprobt. „Alle hier wollten so bald wie möglich weiter­machen“, erklärt der Intendant des seit 1843 bestehenden Theaters.

Vorhang auf

Daran, dass es so schnell wieder losgehen konnte, ist Kerstin Budde maßgeblich beteiligt. Als Geschäfts­führerin und Gesellschafterin der that hamburg GmbH, einem Dienst­leistungs­unter­nehmen für Theater­betriebs­technik und -sicherheit, berät sie mit dem Thalia Theater insgesamt neun Spiel­stätten in Hamburg. Auch beim deutschen Finale des Eurovision Song Contests in der Elb­philharmonie mit 130 Beteiligten hat sie für Sicherheit und Gesundheit gesorgt.

Bereits im März 2020 hatte Budde ihre erste Gefährdungs­beurteilung für die Wieder­auf­nahme des Betriebs beim Thalia Theater erstellt. Zunächst ging es darum, die Produktion von Dekoration zu ermöglichen. Eine Woche später folgte die Gefährdungs­beurteilung für den Proben­betrieb, die nicht nur die Siche­rheits- und Hygiene­maßnahmen für Schauspielerinnen und Schauspieler, sondern auch für Licht- und Ton­designerinnen und -designer, das Regie-Team, Souffleusen und Souffleure sowie Inspizientinnen und Inspizienten regelt. „Wir waren sehr schnell. Das kam mir entgegen, weil ich zunächst nach dieser Schließung sehr verwirrt war. Eine Situation, die man erst mal gar nicht beurteilt, kenne ich als Sicherheits­ingenieurin nicht. Glücklicher­weise war man sich im Thalia Theater einig, die Strukturen und Prozesse so verändern zu wollen, dass die Arbeit weiter­gehen könne“, erinnert sie sich. „Gemeinsam mit Geschäfts­führung, Intendanz, künstlerischem Betriebs­direktor, Betriebs­rat, Ensemble­vertretung und Betriebs­ärztin haben wir eine Taskforce gebildet, die sich wöchentlich trifft und alles gemeinsam durchgeht und entscheidet.“

„Jetzt geht es wieder aufwärts“, findet Kerstin Budde.
„Jetzt geht es wieder aufwärts“, findet Kerstin Budde. Foto: VBG/Oliver Hardt

Die 48-jährige Diplom-Ingenieurin spielt seit ihrer frühen Jugend selbst Theater. Sie studierte Theater- und Film­technik an der Fach­hoch­schule Hamburg, arbeitete als freie Technikerin und Beleuchtungs­meisterin sowie als Bühnen­bild­assistentin. 2003 heuerte Budde bei that an und absolvierte die Zusatz­aus­bildung zur Fachkraft für Arbeits­sicherheit bei der VBG. Seitdem ist sie dort auch selbst freiwillig gegen Arbeits­unfälle versichert. Auch an der aktuellen VBG-Handlungs­empfehlung zur Umsetzung des SARS-CoV-2-Arbeits­schutz­standards an Theatern hat sie mit­gearbeitet. Diese bietet Hilfe­stellung für den Proben­betrieb in Veranstaltungs- und Produktions­stätten für szenische Darstellung. „Für mich war es wichtig, erst mal überhaupt etwas Verbindliches in der Hand zu haben, an das wir uns halten können“, erklärt Budde. Für den Bereich Ausstattungen gibt es ebenfalls eine Handlungs­hilfe der VBG. Beide werden dynamisch an den jeweiligen Status der Pandemie angepasst. Gegenwärtig finden dort auch die in der neuen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel der Bundesregierung aktualisierten Anforderungen und Empfehlungen bezüglich der Themen verstärkter Lüftung und dadurch die Möglichkeit zur Reduzierung von Abständen beim Singen und Sprechen Berücksichtigung.

Hier finden Sie die branchenspezifische VBG-Handlungshilfe für Bühnen und Studios im Bereich Proben- und Vorstellungsbetrieb.

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Sicher und stilvoll: Mund-Nasen-Schutz mit Thalia-Branding

Sicher und stilvoll: Mund-Nasen-Schutz mit Thalia-Branding.

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Zuschauerraum

1,5 Meter Abstand gelten auch für die Zuschauer.

Foto: VBG/Oliver Hardt

Proben proben

„Gerade für die künstlerischen Prozesse wie Regie und Bühnenbild ist die gegen­wärtige Situation wirklich eine wahnsinnige Heraus­forderung“, führt Budde aus. Sie freut sich über den Zusammenhalt. „Bislang hat niemand gesagt, dass er oder sie nicht mehr kann oder will.“ Dabei seien die Bedingungen so anders, dass „wir erst mal das Proben neu proben mussten“, sagt Intendant Lux.

Etwa die Abstands­regelungen: Aktuell müssen die Schauspielerinnen und Schauspieler ohne Mund-Nasen-Schutz mindestens eineinhalb Meter Abstand halten, bei exzessivem Sprechen oder Singen sogar sechs Meter, führt Budde aus. „Das Schauspiel­haus (ein weiteres Staats­theater in Hamburg, Anm. d. Red.) verwendet Schwimm­nudeln als Abstands­halter. Wir versuchen es zunächst mit Augenmaß. Die Bühnen­meisterinnen und -meister haben als Aufsicht führende Personen den Abstand im Blick, müssen aber nur selten eingreifen. Alle gehen mit der Situation sehr verantwortungs­voll um“, so Budde. Requisiten dürfen nicht weiter­gegeben werden, ohne vorher desinfiziert zu werden. Ein weiteres Problem ist die Lüftung: „Die Probe­bühnen sind auf die dies­bezüglichen Anforderungen nicht ausgelegt. Wir müssen daher nach jeweils einer Stunde pausieren“, erklärt die Sicherheits­ingenieurin.

Desinfektionsspender
Wer das Theater betrifft, desinfiziert zunächst seine Hände. Foto: VBG/Oliver Hardt

Auch das Bühnenbild ist betroffen. Manchmal können zusätzliche Wände dort eingezogen werden, wo es passt. Manchmal müssen bereits gebaute Kulissen komplett umgebaut werden. „Gerade die Video­technik eignet sich im Moment, um intimere Szenen zu drehen und projizieren zu können“, verrät Budde.

Und wie ist es mit Kostümen und Masken? „Bis zu den End­proben müssen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler selber schminken. Bei den Aufführungen selbst brauchen sie eine erhöhte Konzentration, und die Masken­bildnerinnen und Masken­bildner werden sich an die Auflagen für den Kosmetik­bereich halten, also FFP2-Masken und Visiere tragen“, berichtet die Sicherheits­ingenieurin.

„Was die eingeschränkte Nutzung des Zuschauerraumes angeht, gibt es grund­sätzlich zwei Konzepte“, erklärt Budde. Beim „Schach­brett“ wird jede Reihe versetzt besetzt, bei den „leeren Reihen“ wird nur jede zweite Reihe besetzt, und zwischen einer sogenannten Infektions­gemeinschaft, wie die Menschen genannt werden, die gemeinsam das Theater besuchen, bleiben zusätzlich Plätze frei. Der neue Saalplan des Thalia Theaters setzt auf „leere Reihen“ und wird daher nur noch ein Viertel der eigentlich rund 1.000 Besucher und Besucherinnen fassen können.

Solo für Arbeits­sicherheit

Ihre Tätigkeit begreift Kerstin Budde als Fundament für funktionierendes Theater. „Als Hobby spiele ich Elektro-Bass, und so verstehe ich auch meine Arbeit. Ich bin die Basslinie im Unternehmen. Wenn diese nicht da ist, klingt das Stück nicht gut, sprich, dann funktioniert der Betrieb nicht. Im Moment habe ich ein Bass-Solo. Die Aufmerksamkeit liegt auf der Arbeits­sicherheit wie nie zuvor. Und wie das so ist mit Bass-Soli, ich freue mich schon, wenn es wieder vorbei ist.“

Desinfektionsspender

Das Foyer bleibt auch künftig leer. Die meisten Vorstellungen werden ohne Pause gespielt.

Foto: VBG/Oliver Hardt

Auch Intendant Lux freut sich auf die schritt­weise Rückkehr zur Normalität: „In der Zeit des Shutdown haben wir die Hälfte unserer Jahres­produktion gestoppt, unterbrochen oder nicht anfangen können. Lediglich drei Produktionen können jetzt auf Pandemie-Bedingungen angepasst werden.“ Auf die Frage, ob er der ganzen Situation auch etwas Positives abgewinnen könne, antwortet der 62-Jährige: „Künstlerinnen und Künstler haben zu allen Zeiten auf katastrophale Umstände mit Fantasie geantwortet. In diesem Sinne hoffe ich, dass aus dem Handicap künstlerisch irgend­etwas passiert, was sonst nicht passiert wäre.“

Kerstin Budde denkt in eine ähnliche Richtung: „Ich finde, dass Theater insbesondere im Umgang mit Krisen und Veränderungen sehr gut ist. Bei uns passiert es oft, dass sich Produktionen weiter­entwickeln und etwas Geplantes dann nicht mehr passt. Vielleicht haben wir anderen Branchen dies­bezüglich etwas voraus. Es gibt eine Theorie, dass künstlerische Arbeit durch Widrigkeiten noch mal eine andere Qualität bekommt. Wenn diese stimmt, müssten wir jetzt die besten Stücke produzieren, die wir je gemacht haben.“

Die VBG hat korrespondierend zum Arbeits­schutz­standard der Bundes­regierung auf die Branchen zugeschnittene Handlungshilfen entwickelt. Mit diesen Veröffentlichungen unter­stützt die VBG betroffene Mitglieds­unternehmen mit Informationen zu Verantwortlichkeiten, Pflichten und Verhaltens­weisen sowie Hinweisen zur Umsetzung von Maßnahmen.

www.vbg.de/brancheninfos-covid

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