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Blick auf eine Kleinstadt im Tal
Foto: Christine Schneider

Summer of PioneersSuche: Kleinstadtidylle. Biete: Digitalwissen

Für sechs Monate tauschte Lara Schermer ihr Büro in Berlin gegen einen Co-Working-Space auf dem hessischen Land ein. Was bedeutet das für alle Beteiligten?

Ein Dienstag im Oktober in Homberg (Efze), Hessen, kurz vor Feier­abend: Lara Schermer hat einen letzten Termin mit ihrem Vor­gesetzten Andreas Krönke. Der sitzt aller­dings in seinem Büro in Berlin, rund 300 Kilometer entfernt. Bis vor einem halben Jahr hat auch Schermer dort gelebt – bis sie im Rahmen des Projekts „Summer of Pioneers“ für ein halbes Jahr aus der Metropole in die hessische Klein­stadt zog. Deshalb finden Schermers Geschäfts­termine in ihrer neuen Heimat hauptsächlich online am Laptop im Co-Working-Space statt.

Die Umstellung von Büro auf Homeoffice mussten vergangenes Jahr viele deutsche Arbeit­nehmerinnen und Arbeit­nehmer im Zuge der Corona­pandemie machen. Laut einer aktuellen Studie der Hans-Böckler-Stiftung sind die Erfahrungen gemischt: Einer­seits, so bewerten es die Befragten, entfällt im Homeoffice der persönliche Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen, zudem lassen sich persönliche Meetings durch digitale zum Teil nur schwer ersetzen. Anderer­seits ersparen sich Beschäftigte im Homeoffice das Pendeln, und sie können von einer erhöhten zeitlichen Autonomie profitieren. Auch nachdem die Büros wieder ihre Türen für die Angestellten öffneten, blieben viele lieber im Homeoffice. Andere wiederum mieteten sich in Co-Working-Spaces ein. „Arbeit flexibilisiert sich, sowohl räumlich als auch zeitlich. Viele Unternehmen befinden sich in einem Kultur­wandel, weg von der Präsenz­kultur, hin zu Vertrauens­arbeit und einer neuen Führungs­kultur. Die Corona­virus-Pandemie ist hierfür nicht der Auslöser, sie hat die Prozesse aller­dings rasant beschleunigt“, erklärte Homeoffice-Forscher Prof. Dr. Stefan Süß im Certo-Interview.

Andreas Krönke

Andreas Krönke hat als Führungskraft keine Bedenken, wenn Angestellte ortsunabhängig arbeiten.

Foto: VBG/Luca Pot d'Or
Lara Schermer

Senior Communications Director Lara Schermer ist eine von 20 Teilnehmenden des „Summer of Pioneers“ in Homberg (Efze).

Foto: VBG/Luca Pot d'Or

Digitale Termine kannte Lara Schermer schon vor Corona: „Seitdem ich bei PIABO bin, fanden viele unserer Meetings digital statt, weil unsere Kundinnen und Kunden über ganz Deutschland und inter­national verteilt sind. Innerhalb unseres Teams haben wir uns damals aber noch fast täglich gesehen. Homeoffice konnten wir einmal in der Woche in Anspruch nehmen.“ Doch die Corona­virus-Pandemie hat auch bei der PR-Agentur PIABO, in der die 34-Jährige seit rund zwei­einhalb Jahren als Senior Communications Director tätig ist, ein länger­fristiges Umdenken hinsichtlich der Arbeits­strukturen bewirkt: „Mittler­weile arbeiten fast alle Angestellten größten­teils im Homeoffice – und wir stellen nun sogar orts­unabhängig ein. Doch das Büro in Berlin ist trotzdem offen für jede und jeden.“

Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden mehr Freiheiten in der Wahl des Arbeits­orts und in der Gestaltung der Arbeits­zeit gewähren, sind seit Corona keine Seltenheit mehr. Doch ein halb­jähriges Abenteuer in der Klein­stadt­idylle statt dem gewohnten Arbeits­umfeld in der Groß­stadt, das war für Lara Schermer und ihren Chef ein Schritt ins Ungewisse. „Ich habe während des letzten Jahres gemerkt, was mir in der Großstadt fehlt: die Nähe zur Natur, die Ruhe oder kreativer Frei­raum zum Beispiel“, erzählt Schermer. Dann habe sie durch Zufall eine Anzeige auf der Netz­werk­platt­form LinkedIn gesehen, die sie aufhorchen ließ: Gesucht wurden „Digital­arbeiterinnen und Digital­arbeiter“, die das Land­leben ausprobieren möchten. Für einen Zeit­raum von sechs Monaten würde ihnen vergünstigter Wohn­raum und ein Co-Working-Space gestellt, dafür sollten sie der Gemeinde mit ihrem Digital­wissen helfen. Schermer war direkt so begeistert, dass sie sich kurzer­hand bewarb – und nur einige Tage später die Zusage erhielt.

Wie in vielen deutschen Kleinstädten ist auch in Homberg (Efze) die Leerstandsquote hoch. Die Digitalarbeitenden des „Summer of Pioneers“ haben im Rahmen ihrer Projekte leer stehende Gebäude genutzt – etwa für Kunstausstellungen.
Wie in vielen deutschen Kleinstädten ist auch in Homberg (Efze) die Leerstandsquote hoch. Die Digitalarbeitenden des „Summer of Pioneers“ haben im Rahmen ihrer Projekte leer stehende Gebäude genutzt – etwa für Kunstausstellungen.
Foto: VBG/Luca Pot d'Or
Ihr Büro in Berlin hat Lara Schermer gegen einen Co-Working-Space in Homberg (Efze) eingetauscht. Von dort arbeitet sie digital mit ihren Kolleginnen und Kollegen und Kundinnen und Kunden zusammen.
Ihr Büro in Berlin hat Lara Schermer gegen einen Co-Working-Space in Homberg (Efze) eingetauscht. Von dort arbeitet sie digital mit ihren Kolleginnen und Kollegen und Kundinnen und Kunden zusammen.
Foto: VBG/Luca Pot d'Or
Kleinstadtidylle statt Großstadtflair: Der Marktplatz in Homberg (Efze) ist das Zentrum der Kleinstadt mit rund 14.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Kleinstadtidylle statt Großstadtflair: Der Marktplatz in Homberg (Efze) ist das Zentrum der Kleinstadt mit rund 14.000 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Foto: VBG/Luca Pot d'Or

Dass der Aufenthalt nur für ein halbes Jahr sein würde, erleichterte ihr die Entscheidung, so Schermer. Kurzerhand vermietete sie ihre Wohnung an einen Freund unter, packte drei Koffer und schilderte den Plan ihrem Chef. „Das Gespräch mit Andreas hat mir eigentlich die größten Sorgen bereitet. Ich hätte auch verstanden, wenn er Nein gesagt hätte.“ Doch Andreas Krönke war wie Schermer begeistert von der Idee: „Ich fand das Projekt sofort spannend, weil ich diesen Austausch zwischen Stadt und Land wichtig finde für unsere Gesellschaft.“ Er selbst sei beruflich auch viel unterwegs gewesen und habe oft remote gearbeitet, erzählt Krönke. Deshalb hatte er gar keine Bedenken wegen des Umzugs: „Ich kenne Lara ja schon länger. Das Vertrauen, dass so ein Schritt für beide funktioniert, ist auf jeden Fall da.“ Für ihn und das Unternehmen stehe an erster Stelle, dass die Mit­arbeiterinnen und Mit­arbeiter zufrieden sind – sowohl mit der Arbeit als auch mit ihrem Leben insgesamt. „Wenn ein Tapeten­wechsel zum Glück verhilft, warum nicht!?“

Und ist Lara Schermer nun glücklicher in der Klein­stadt? „Die Gemeinschaft der Teil­nehmenden, aber auch das Zusammen­leben in der Klein­stadt war total motivierend. Es war zwar auch anstrengend, die eigene Arbeit und die Projekte in Homberg unter einen Hut zu bekommen, doch am Ende hat sich die ganze Erfahrung definitiv gelohnt“, resümiert Schermer.

Auch das Projekt „Summer of Pioneers“ in Homberg selbst war ein voller Erfolg. Die 20 Teilnehmenden haben in dem halben Jahr zahlreiche Projekte für die Stadt und die Menschen angeschoben und umgesetzt, zum Beispiel ein Open-Air-Kino oder Kunst­aus­stellungen in leer stehenden Gebäuden. Die Stadt Homberg hat sogar noch länger­fristig etwas davon, nämlich zehn neue Einwohnerinnen und Einwohner. Denn die Hälfte der Teilnehmenden des „Summer of Pioneers“ entschied sich nach Ablauf der sechs Monate zum Verbleib in der hessischen Wahl­heimat. „Die Entscheidung, hier zu bleiben, kann ich sehr gut nach­voll­ziehen. Ich habe ehrlicher­weise auch ernsthaft über­legt, ob es für mich hier in Homberg weitergeht“, so Schermer. Doch erst einmal zieht es sie zurück nach Berlin. Ausgang ungewiss. „Ich freue mich unglaublich, mein Team wieder im Büro zu sehen. Denn den persönlichen Austausch kann man nun mal nicht ersetzen“, so Schermer. Und der Chef? Krönke: „Wenn Lara in Homberg geblieben wäre, hätte das auf ihre Anstellung natürlich keine Auswirkungen. Aber ich freue mich jetzt vor allem, bald mal wieder einen Kaffee mit ihr trinken zu können.“

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  • Für Führungskräfte ist das Führen aus der Ferne mit neuen Heraus­forderungen verbunden. Wie es gelingen kann, erklärt VBG-Arbeits­psychologin Dr. Susanne Roscher im Video.
  • Unter dem Stichwort „Arbeitswelt 4.0“ vollziehen sich derzeit vor allem im Bereich der Büro- und Wissens­arbeit große Umbrüche. Angesichts dieser Veränderungen stehen Unternehmen aktuell vor der großen Heraus­forderung, die Gesundheit und Motivation ihrer Beschäftigten zu fördern und dabei gleich­zeitig die betrieblichen Bedürfnisse und Notwendigkeiten zu berücksichtigen. In Kooperation mit führenden Partnerinnen und Partnern der Sozial­politik hat die VBG deshalb das Präventions­projekt „Mitdenken 4.0 – Neue Präventions­ansätze für Arbeits­prozesse in der Büro- und Wissens­arbeit“ ins Leben gerufen.

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