
Herr Professor Becker, Start-ups haben den Ruf, Innovationen hervorzubringen und ganze Branchen zu revolutionieren. Was können kleine und mittlere Unternehmen von ihnen lernen?
Wolfgang Becker: Start-ups nutzen – vor allem als sogenannte „Born Digitals“ – die digitalen Möglichkeiten oft besser als traditionelle Unternehmen. Sie arbeiten agiler in flachen Hierarchien, haben meist einen stark ausgeprägten Unternehmergeist und eine offene Unternehmenskultur. Traditionelle Mittelständler können von ihnen lernen, etablierte Denk- und Handlungsmuster zu hinterfragen und selbst risikoaffiner am Markt aufzutreten. Studien zeigen jedoch, dass diese Potenziale bisher noch unzureichend genutzt werden. Hier benötigen mittelständische Unternehmen oft noch Hilfe.
Große Unternehmen arbeiten schon häufig mit Start-ups zusammen, beteiligen sich finanziell oder gründen selbst welche. Kleinere Unternehmen sind da bislang zaghafter. Woran liegt das?
Großunternehmen verfügen über die finanziellen Mittel und entsprechende Fachleute, um eine Kooperation mit Start-ups zu wagen. Im Mittelstand hingegen kann eine falsche Kooperation existenzbedrohend sein. Daher schrecken Mittelständler oft davor zurück, eine Verbindung mit Start-ups einzugehen, die ihr Kerngeschäft betrifft. Stattdessen sehen sie eine solche Zusammenarbeit eher als Ergänzung zum existierenden Geschäftsmodell – was allerdings auch den Nutzen einschränken kann.

Professor Wolfgang Becker lehrt Betriebswirtschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und forscht zu Mittelstand, Unternehmensführung und Controlling.
Foto: Wolfgang BeckerWovon sollte ein Unternehmen abhängig machen, ob es eigene Forschung und Entwicklung betreibt oder sich Innovationen lieber extern holt?
Das hängt natürlich stark von den Kosten ab. Verfügt ein mittelständisches Unternehmen bereits über Kompetenzen im Bereich Forschung und Entwicklung, kann es sich selbst darum kümmern. Ist dies nicht der Fall, können Innovationen über den Markt bezogen werden – oder eben auf dem Weg einer Kooperation. Diese hat einen großen Vorteil: Forschen und entwickeln Start-ups und Unternehmen gemeinsam, lernen beide dazu. Bei extern eingekaufter Innovation bleiben diese wertvollen Erfahrungen aus.
Allerdings müssen beide Seiten in Kauf nehmen, abhängig voneinander zu sein. Voraussetzung ist daher eine besonders vertrauensbasierte, meist längerfristige Zusammenarbeit.
Welche Vorteile haben beide Seiten im besten Fall von einer Zusammenarbeit?
Start-ups profitieren von einem möglichen Kapitalzufluss, sammeln Erfahrungen und Reputation, erhalten leichteren Zugang zum Markt und können bestehende Netzwerke nutzen. Mittelständler können gerade im Zuge der Digitalisierung technologische Lücken schließen, neue Strukturen und Unternehmenskulturen kennenlernen sowie Einblicke in agile Arbeitsweisen erhalten – ein möglicher erster Schritt zur eigenen digitalen Transformation und Innovation. Im Idealfall schaffen die Partner eine Win-win-Situation, in der sich ihre Schwächen und Stärken gegenseitig ausgleichen.
Worauf sollten Unternehmen achten, wenn sie mit einem Start-up zusammenarbeiten wollen?
Beide Unternehmen sollten sich vorher die angestrebten Ziele klarmachen. Idealerweise greifen die Geschäftsmodelle ineinander. Bisherige Studien zeigen, dass dabei der Erhalt der jeweiligen Autonomie besonders wichtig ist. Kooperationen scheitern oft aufgrund überbordender Kontrollmechanismen, bürokratischer Strukturen und des Versuchs, ein Start-up vollkommen zu integrieren. Vertrauen ist unabdingbar, gestützt werden sollte dies aber auch durch entsprechende Verträge und durch ein gemeinsames Organisationsdesign.
Wie finden Unternehmen das für sie passende Start-up?
Ganz unterschiedlich, wie die Forschung zeigt. Einige suchen gezielt nach Start-ups, die bestimmte Technologien beherrschen oder bereits anbieten. Andere werden eher zufällig auf geeignete Jungunternehmen aufmerksam. Häufig müssen kooperationswillige Unternehmen lange suchen, das Kennenlernen beansprucht ebenfalls Zeit. Üblicherweise erfolgt die wirtschaftliche Evaluation bei Pitches, in denen Start-ups potenziellen Partnern ihr Geschäftsmodell vorstellen.
Welche Formen der Kooperation gibt es?
Das Spektrum reicht vom begrenzten Ressourcenaustausch bis hin zu strategischen Allianzen und Lizenzierungen. Oft handelt es sich um ganz klassische Vertriebskooperationen im Sinne von Produkterweiterungen und dem gemeinsamen Markt- und Kundenzugang oder um gemeinsam durchgeführte Entwicklungen. Der Erfolg hängt jedoch davon ab, ob es den Partnern gelingt, einen individuellen Weg zu finden.
Wie gelingt die Kommunikation trotz unterschiedlicher Unternehmenskultur?
Schon früh sollten feste Ansprechpartner und einheitliche Kanäle bestimmt werden. Der Austausch sollte auf Augenhöhe und verständnisvoll ablaufen. Ratsam ist ein aktiver Umgang miteinander, damit die Partner gemeinsam Ziele setzen und Lösungen finden können.
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