
Im antarktischen Sommer legt das Forschungs- und Versorgungsschiff „Polarstern“ an und bringt Lebensmittel und Materialien für die „Neumayer-Station III“.
Wenn der Sturm kommt, geht niemand mehr vor die Tür. Der Schnee, den die orkanartigen Böen in alle Richtungen aufpeitschen, schränkt die Sicht so sehr ein, dass mitunter kaum die Hand vor Augen zu sehen ist. Während der Polarnacht geht die Sonne wochenlang gar nicht mehr auf, und die Temperaturen sinken auf bis zu minus 47 Grad. Dunkelheit und Kälte regieren dann das ewige Eis. Kaum ein Lebensraum kann so extrem sein wie die Antarktis.
Leben und forschen im Eis
Mitten im Eis der Atka-Bucht, einige Kilometer vom Südpolarmeer entfernt, gibt es aber doch Menschen, die den widrigen Bedingungen hier trotzen. Neun Forscherinnen und Forscher des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) aus Bremerhaven sind ganzjährig an der „Neumayer-Station III“ einquartiert. Zwischen Schneestürmen, beißender Kälte und Polarlichtern verbrachte Heitland zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Technik, Atmosphärenchemie, Geophysik und Meteorologie sowie einem Koch 14 Monate auf der Polarforschungsstation in der Antarktis – neun davon komplett abgeschnitten von der Zivilisation.
Als Arzt und Stationsleiter war Heitland zuständig für die Arbeitssicherheit vor Ort und verantwortete während des Aufenthalts die Unversehrtheit des Teams – keine leichte Aufgabe angesichts solch ungewöhnlicher Außeneinflüsse. „Schneestürme mit Windstärke elf oder zwölf sind keine Seltenheit – da ist dann Vorsicht geboten. Jedes Risiko ist zu viel, und im Zweifelsfall heißt es am Ende: abwarten, bis sich der Sturm gelegt hat“, berichtet er.
Ich war schon immer fasziniert von entlegenen Orten – die Antarktis war daher eine wunderbar intensive Erfahrung, die ich rückblickend auch niemals missen möchte.
Isolation als Gefahr
Allerdings sind nicht nur die Witterungsverhältnisse Gefährdungsfaktoren. Auch psychisch bringt die Arbeit in der Antarktis ungewohnte Belastungen mit sich. Die komplette Dunkelheit während der achtwöchigen Polarnacht, die Isolation und die Eintönigkeit sind für die Psyche Stress, der vom Stationsleiter allerdings einkalkuliert und dem entsprechend begegnet wird: „Gegen die Dunkelheit helfen beispielsweise spezielle Tageslichtlampen und auch ein geregelter Tagesablauf, denn der Biorhythmus gerät sonst schnell durcheinander.“ Ein weiterer wichtiger Faktor ist am Ende auch, dass das Team reibungslos zusammenarbeitet. Die lange Zeit der Abgeschiedenheit kann zusammenschweißen, aber auch mal einen Lagerkoller auslösen. Diese außergewöhnliche psychische und körperliche Belastungssituation untersuchte Heitland in einer Studie, die schließlich für die Weltraummedizin wichtige Aufschlüsse geben soll.
Die Isolation während der neunmonatigen Wintersaison kann im schlimmsten Fall sogar lebensgefährlich sein. „Das Worst-Case-Szenario wäre wahrscheinlich ein Feuer auf der Station – gerade auch durch die Abgeschiedenheit von jeglicher Hilfe“, so Heitland. Die nächsten Nachbarn einer südafrikanischen Station sind über 230 Kilometer entfernt. Hilfe vom Festland kann die Station nur mit einer aufwendigen Anreise – und im Winter gar nicht – erreichen. Heitland weiß: „Das Team ist in dieser Zeit komplett auf sich allein gestellt. Die Arbeitssicherheit und alle entsprechenden Maßnahmen genießen also oberste Priorität.“
Vorbeugen ist besser als heilen
In einer viermonatigen Vorbereitungsphase haben Arzt und Forschungsteam in Kursen und Seminaren wesentliche Grundlagen für die Zeit in der Antarktis gelernt – von der Schulung zum Verhalten in eisigen Bergwelten über das Erlernen von Rettungstechniken bis hin zum KettensägenSchein. Auch das Thema Feuer wird in einer speziellen Brandschutzausbildung ausführlich behandelt. In der Station sorgen Brandschutztüren, Rauch- und Feuermelder oder CO₂- und Pulver-Feuerlöscher für Schutz – dennoch müssen alle Anwesenden aktiv am Brandschutz mitwirken. In einer regelmäßigen Brandschutzübung werden wichtige Abläufe immer wieder durchgespielt, damit sie zum Automatismus werden und im Ernstfall einfach abrufbar sind.
Für einen medizinischen Ernstfall bildet sich der Stationsarzt zudem noch fachlich weiter. Als ausgebildeter Chirurg hat Heitland zusätzlich drei Wochen in einer Zahnarztpraxis und drei Wochen in der Anästhesie hospitiert, um für verschiedene medizinische Szenarien gewappnet zu sein. Im Notfall kann der Stationsarzt auf einen Behandlungsraum, einen Operationssaal und eine Apotheke in der Station zurückgreifen.
„Für die Wissenschaft ist die Arbeitssicherheit eine zentrale Säule. Ohne Sicherheit am Arbeitsplatz ist die Forschung schlichtweg nicht möglich.“
Draußen im Eis hilft kein Arbeitsschutzgesetz
Damit Notfallsituationen aber gar nicht erst eintreten, liegt das Hauptaugenmerk im Stationsalltag selbstverständlich auf der Prävention. Weil das Forscherteam in der Antarktis unter deutscher Flagge stationiert ist, gilt für die Arbeit auch das deutsche Arbeitsschutzgesetz. „Ob in der Werkstatt, im OP oder in der Küche: In unserer Station sind wir an die deutschen Regularien gebunden“, sagt Heitland und führt aus: „Diese Regularien bilden die Basis für unser Handeln und schaffen die Voraussetzungen für ein optimales Arbeitsumfeld. Das Wissen aus der Vorbereitungsphase, gesunder Menschenverstand und die Erfahrung in dem jeweiligen Fachgebiet spielen dazu noch eine große Rolle. Denn draußen im Eis bei Temperaturen von knapp 50 Grad unter null hilft in der Not auch kein Arbeitsschutzgesetz.“ Die Bilanz nach den 14 Monaten in der Antarktis ist positiv: „Kleinere Verletzungen gab es wie an jedem Arbeitsplatz – von größerem Unheil sind wir aber verschont geblieben.“

Dr. Tim Heitland, Arzt und Stationsleiter, verbrachte 14 Monate auf der „Neumayer-Station III“ in der Antarktis. Als Arzt war er dort im Auftrag des Alfred-Wegener-Instituts aus Bremerhaven für die Arbeitssicherheit des Forschungsteams verantwortlich.
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