
Frau von Hinüber, Sie haben Jura studiert und eine eigene Kanzlei geführt. Was hat Sie dazu bewogen, doch im Familienunternehmen anzuheuern?
Das war eine ganz natürliche Entwicklung. Mein Vater hatte mich im Jahr 2007 zunächst darum gebeten, an zwei Tagen pro Woche die Rechtsabteilung aufzubauen. Im Lauf der Zeit habe ich immer mehr Bereiche übernommen. In erster Linie ging es neben allen rechtlichen Belangen um die Verantwortung für Marketing und Personal. Als mein Vater mich nach acht Jahren fragte, ob ich mir vorstellen könne, Mitglied der Geschäftsführung zu werden, war ich nicht überrascht. Das, was ich sowieso schon täglich tat, auch auf der Visitenkarte stehen zu haben war in gewisser Weise der nächste natürliche Schritt.
Wie alle Externen mussten Sie sich als geschäftsführende Gesellschafterin bei der Gesellschafterversammlung bewerben. Waren Sie sich sicher, dass es klappt?
Ich wusste überhaupt nicht, wie es ausgeht. Das war aber auch meine Erwartungshaltung an die Gesellschafterversammlung. Ich bin jetzt auch Gesellschafterin, und da ist es mein Anliegen, dass das Unternehmen möglichst gut fortentwickelt wird. Es gibt recht strenge und klare Voraussetzungen, welche Qualifikationen man mitbringen muss, um hier Mitglied der Geschäftsführung zu werden. Mir war es wichtig, dies mit dem entsprechenden Bewerbungsvorgang zu dokumentieren.
Hat Ihr Vater sich für Sie starkgemacht?
Im Gegenteil, er hat sich zurückgehalten. Wenn wir etwas Neues entwickeln, halten wir uns an den Leitsatz: „Eine gute Sache verkauft sich von selbst.“ Das war auch hier unser Credo. Ich glaube, in diesem Fall haben die Gesellschafter gesehen, dass ich eine gute Ergänzung darstelle. Dass alles so gut klappt, findet er sicherlich gut. Welcher Vater freut sich nicht, wenn sein Lebenswerk fortgeführt wird?
Wie waren die Reaktionen der Belegschaft?
Ich denke, sehr wohlwollend. Mein Vorteil war, dass ich zu diesem Zeitpunkt ja bereits seit acht Jahren im Unternehmen tätig war und die Mitarbeitenden mich kennenlernen konnten. So fern liegt es nicht, dass ein Familienunternehmen in der sechsten Generation weiterhin in der Familie bleibt. Ich bin außerdem nicht die Einzige, deren Eltern schon im Unternehmen tätig waren. Auch in der Belegschaft haben wir hier die dritte Generation an Mitarbeitenden.
Mit Ihrem Bruder, ebenfalls Mitglied der Geschäftsführung, haben Sie im elterlichen Betrieb erstmals zusammengearbeitet. Ihr Vater arbeitet mit reduziertem Aufgabenbereich weiter mit. Läuft alles reibungslos?
Natürlich mussten sich die Prozesse erst einmal einspielen. Spannungen entstanden dort, wo die Zuständigkeiten nicht eindeutig waren. Nach etwa einem Jahr hatten wir uns gut abgestimmt, dennoch gibt es viele Überschneidungen. Da wir in der Geschäftsführung den Anspruch haben, Entscheidungen stets im Konsens zu fällen, wird nicht selten rege diskutiert. Dann gehen wir gern gemeinsam im Park spazieren. Sollten wir uns einmal nicht einigen können, gilt die Regel: „Wer die Verantwortung für den Bereich trägt, fällt letztendlich auch die Entscheidung und steht dafür gerade.“ Genauso läuft es auch mit meinem Vater, der sich sukzessive aus dem Unternehmen zurückzieht. Aktuell reist er gemeinsam mit unserer Mutter auf dem Motorrad durch Chile.

Johannes Schmitt schrieb 1988 seine Doktorarbeit mit dem Titel „Entwicklung der Aufzugbranche von der Warenproduktion zum Dienstleistungsanbieter".
Foto: privat
Anna von Hinüber vergleicht ihre Tätigkeit als Unternehmerin mit einem Aufzug: „Es geht auf und ab.“
Foto: VBG/Alexandra BeierBald nähert sich Ihr fünfjähriges Jubiläum als geschäftsführende Gesellschafterin. Worauf sind Sie stolz?
Ich möchte nicht von einem Wertewandel sprechen, da mein Vater die gleichen Werte hat wie ich, aber da war schon eine gemeinsame Fortentwicklung in der Führungskultur. Wenn ich mich umschaue, bin ich vor allem sehr stolz auf die fast 2.000 tollen Menschen, die mit uns arbeiten. Ich bin der Meinung, dass ein bestimmtes Arbeitsklima Menschen anzieht, die gut in dieses Klima passen, die ähnlich denken. Zudem habe ich Veränderungen herbeigeführt, die sich im Unternehmensergebnis spiegeln. Ein Kraftakt war zum Beispiel, die Vergütung der Mitarbeitenden auf eine ergebnisorientierte Kompensation umzustellen, anstatt sich wie gehabt nach dem Umsatz zu richten. Wir mussten das Vertrauen der Mitarbeitenden gewinnen und die Weichen für die Umsetzung stellen.

Anna von Hinüber packt die Dinge an.
Foto: VBG/Alexandra BeierHätten Sie sich rückblickend besser früher im Familienbetrieb eingebracht?
Nein. Es ist meiner Ansicht nach sinnvoller, erst dann ins Familienunternehmen einzusteigen, nachdem man anderweitig tätig war. Mir hat die Möglichkeit, mich zunächst nicht als „Tochter von …“, sondern ganz unabhängig davon zu bewähren, persönlich sehr viel gebracht. Ich habe nicht nur meine eigene Kanzlei aufgebaut, sondern vorher auch in anderen Kanzleien gearbeitet, auch im Ausland. Auch habe ich eine Zeit lang Gold für ein Unternehmen in Paris eingekauft – einfach, um meinen Horizont zu erweitern. Der Blick über den Tellerrand ist für unseren Betrieb sicherlich ein Zugewinn.
Sie haben selbst zwei Töchter. Würden Sie sich freuen, wenn diese irgendwann in Ihre Fußstapfen treten würden?
Ich möchte vor allem, dass meine Töchter glückliche Menschen werden. Wenn sie irgendwann Interesse am Unternehmen zeigen und die nötigen Qualifikationen mitbringen, fände ich es auch für die Belegschaft schön, mit der Unternehmerfamilie eine Konstante beizubehalten. Hier Druck aufzubauen wäre jedoch völlig falsch, denn auch ich hätte diesen Beruf nicht ausüben wollen, hätte mein Vater nur dies für mich vorgesehen. Mein Vorteil war von Anfang an, dass ich vollkommen frei agieren konnte. Andernorts ist es häufig so, dass die Patriarchen im Hintergrund weiterhin die Strippen ziehen und die offiziellen Nachfolgerinnen oder Nachfolger nicht ihren eigenen Weg gehen lassen. Mein Vater kann loslassen, dafür bewundere ich ihn sehr.
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