
Frau Prof. Dr. Jürgens, bereits vor der gegenwärtigen Coronavirus-Pandemie kamen Studien zu dem Ergebnis, dass Homeoffice neben vielen Vorteilen auch eine überproportional hohe Belastung für Eltern darstellen kann. Welche Faktoren kann man dafür heranziehen?
Viele Eltern erleben es als entlastend, wenn zeitraubende und kostenintensive Wege wegfallen und sich die Arbeit ohne großen Aufwand auch einmal unterbrechen und später wieder aufnehmen lässt. Gegenwärtig ist die Situation aber besonders brisant, weil ja die Kinder auch zu Hause sind. Deshalb gilt: Das Homeoffice kann die Vereinbarkeit erleichtern, aber man muss dann auch besondere Sorge dafür tragen, dass die Konzentration nicht leidet und solide Arbeitsergebnisse abgeliefert werden können. Die Kinderbetreuung ist also genauso wichtig wie in allen anderen Modellen. In jedem Fall braucht es eine genaue Planung, damit das Homeoffice zur Zufriedenheit aller gelingt.
Was können Beschäftigte denn konkret tun, damit die eigene psychische Gesundheit nicht unter der möglicherweise noch lang andauernden Arbeitssituation leidet?
Gegenwärtig sind ja nun viele im Homeoffice, die eigentlich lieber im Büro oder Betrieb arbeiten würden. Deshalb ist es für die Beschäftigten selbst, aber auch für Vorgesetzte wichtig, sich über die Erfahrungen auszutauschen, experimentell vorzugehen und die Erwartungen nicht zu hoch anzusetzen. Für Eltern bleibt die Arbeitsteilung sicher ein brisanter Punkt. Generell empfiehlt es sich, im Homeoffice die Kinderbetreuung genauso ernsthaft und auch in Abgrenzung zur Arbeit zu organisieren, wie man es bei der Arbeit im Büro oder im Betrieb tun würde. Auch sollte mit dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin klar abgesprochen werden, dass Arbeitszeiten auch im Homeoffice eingehalten werden und auch hier Grenzen der Erreichbarkeit bestehen und dass selbstverständlich jede geleistete Arbeitszeit auch erfasst wird. Das lässt sich – etwa unterstützt durch Apps – problemlos bewerkstelligen.

Prof. Dr. Kerstin Jürgens ist Professorin für Mikrosoziologie an der Universität Kassel. Sie schreibt und forscht zum Wandel der Lebensweisen in der Gesellschaft. Die „Zukunft der Arbeit“ ist einer ihrer Themenschwerpunkte.
Foto: www.PS-ART.deIn der jetzigen, durch das Coronavirus bedingten Krisenzeit ist das Homeoffice oft keine Option, sondern eine Vorgabe vieler Unternehmen. Wie können Eltern und Kinder diese Situation gemeinsam meistern?
Insgesamt hilft es, wenn man den Alltag ähnlich strukturiert wie sonst. Absprachen sind jetzt besonders wichtig: Die Familie kann darüber reden, wer wann welche Arbeiten zu erledigen hat und wann aber auch gemeinsame Freizeit stattfindet, Mutter und Vater ansprechbar sind. Vor allem rückt die Arbeit der Eltern jetzt näher an die Kinder heran. Hier macht es Sinn, den Kindern besser zu erklären, was man konkret macht und was für einen selbst wichtig ist, damit man die Aufgaben gut erledigen kann. Nicht zu unterschätzen ist, dass es jetzt in vielen Familien Engpässe bei den Netzkapazitäten oder der Nutzung technischer Geräte gibt. Da ist es ratsam, zu klären, wer wann auf welche Geräte oder das Internet zugreifen darf. Eltern sollten nicht unterschätzen, dass auch für die Kinder die Vernetzung zu anderen wichtig ist, wo jetzt keine persönlichen Treffen mehr möglich sind. Besonders schwer haben es zurzeit Alleinerziehende, die mit der Situation weitgehend allein klarkommen müssen. Sie sollten vom Freundeskreis oder von Familienangehörigen besonders unterstützt werden, auch wenn das derzeit oft nur im Gespräch geht.
Wie schafft man es, allgemein gesund durch diese Zeit zu kommen, von der wir noch nicht wissen, wie lange sie andauern wird?
Die Ungewissheit ist aktuell für alle ein großes Problem, deshalb sollten die Eltern auch offen mit den Kindern darüber sprechen. Kinder können so lernen, dass bestimmte Ungewissheiten zum Leben dazugehören und es aber möglich ist, dabei trotzdem zuversichtlich zu bleiben. Genau deshalb ist es wichtig, dass bisherige Gewohnheiten und Routinen aus dem alten Alltag auch beibehalten werden. Das geht jetzt natürlich nur bedingt. Ein Vorteil ist aber, dass wir keine generelle Ausgangssperre haben. Man sollte sich also viel draußen bewegen, auch Sport treiben, was ja auch zu Hause möglich ist. Beides ist für Kinder und wahrscheinlich auch viele Erwachsene nicht unbedingt immer die beliebteste Freizeitgestaltung, aber so bleibt der Tag abwechslungsreich, und man vermeidet Folgeprobleme wie etwa Fehlhaltungen und Rückenbeschwerden. Auch der Austausch mit anderen ist wichtig. Da bieten sich digital viele Möglichkeiten, auch wenn wir jetzt erleben, dass sich da Lücken zur „echten“ Begegnung ergeben.
Die veränderte Situation stellt durchgeplante Arbeitsmodelle und das Zusammenleben zu Hause komplett auf den Kopf. Was können Unternehmen in dieser Zeit, in der sie sich obendrein Sorgen um die Zukunft des Betriebs machen, tun, um ihre Beschäftigten wirksam zu unterstützen?
Die technische Ausstattung ist ein wichtiger Punkt, damit Beschäftigte auch im Homeoffice gut arbeiten können. Zugleich sollte man jetzt beachten, dass wir alle viele Prozesse neu zu erlernen haben und dies auch Zeit bindet. Das kann also dazu führen, dass das Leistungspensum bezogen auf die eigentlichen Aufgaben leicht schwächer ausfällt. Dafür aber ist der Lernerfolg im Umgang mit digitalen Medien auch ein Gewinn. Darüber hinaus sollten Unternehmen und Vorgesetzte in engem Kontakt zu ihren Beschäftigten bleiben. Das kann zuweilen überfordern, aber man kann ja auch sein Team dazu ermuntern, sich zusammenzutun und dann digital auszutauschen über die aktuelle Situation des Betriebs. Gemeinsame virtuelle Mittagspausen sind auch eine gute Idee, denn es arbeiten aktuell ja auch viele Alleinstehende im Homeoffice, die ansonsten recht isoliert sind.
Sind wir als Gesellschaft hinsichtlich der bisherigen Arbeitsweise und -bedingungen dafür gerüstet, die Zeit nach der Krise gut zu bewältigen?
Gegenwärtig wird ja viel über die Schwächen diskutiert, wie zum Beispiel die Situation des Gesundheits- und Pflegesystems oder die fehlende Schutzausrüstung. Zugleich aber sollte man auch beachten, dass wir viele bewährte Instrumente haben, um auf die Pandemie zu reagieren. Andere Länder verfügen nicht über die Ressourcen oder die arbeitsmarktpolitischen Modelle, die wir in Deutschland haben. Und wir können insofern die Krise jetzt dann auch dazu nutzen, um alle Lehren zu sammeln, die sich aus ihr ziehen lassen. Hierzu zählt zum Beispiel, dass wir bestimmte Berufsfelder, die jetzt plötzlich als „systemrelevant“ erkannt werden, bislang nicht angemessen honoriert haben. Auch sind die Schwächen in der digitalen Infrastruktur und im kompetenten Umgang mit technologischen Innovationen nun kaum zu übersehen. Wir brauchen also nach der Krise auch eine Revision der Bewertung von Arbeit und einen deutlichen Schub in der souveränen Nutzung der Digitalisierung.

Tipps für Führungskräfte
VBG-Arbeitspsychologin Ines Kohl verrät, wie Führungskräfte ihre Beschäftigten im Homeoffice unterstützen können.
- Rechnen Sie damit, dass nicht alle Beschäftigten eine optimale Infrastruktur fürs Arbeiten im Homeoffice daheim haben (schnelles Internet, eigenes Büro, betreute Kinder). Überlegen Sie mit den Beschäftigten gemeinsam, welche Aufgaben zu welchem Zeitpunkt erreicht werden können.
- Im Homeoffice besitzen Beschäftigte oft einen hohen Handlungsspielraum zur Erledigung der Aufgaben. Dieser sollte – vor allem zur Bewältigung bestehender Mehrfachanforderungen, zum Beispiel durch Kinderbetreuung – nicht zu sehr eingeschränkt werden.
- Schnellen Veränderungen in Krisenzeiten kann am besten mit zielgerichteter Kommunikation begegnet werden. Die Informationen können Sicherheit vermitteln und Ängste abbauen, wenn sie klare, nachvollziehbare Entscheidungen beinhalten, dabei das Wohl der Beschäftigten im Zentrum steht, wenn sie zeitnah erfolgen, der Situation angemessen sind und idealerweise persönlich übermittelt werden.
- Bei der Arbeit zu Hause ist die Gefahr, dass Grenzen zwischen Privat- und Arbeitsbereich verschwimmen, deutlich erhöht. Besprechen Sie daher mit Beschäftigten gemeinsam, wie Erreichbarkeit und Reaktionszeiten gestaltet werden können. Die Regelungen sollten klar, aber auch flexibel genug getroffen werden. Ermutigen Sie Beschäftigte nach getaner Arbeit dazu, digitale Endgeräte zu Erholungszwecken auszuschalten.
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