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Mund-Nasen-Schutz
Foto: VBG/Cathrin Müller

Innovativ durch die KriseVom Hohlglashersteller zum Maskenproduzenten

Seit Anfang Oktober erreichen die Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Deutschland täglich neue Höchstwerte. Die mit der Pandemie einhergehende Wirtschaftskrise lässt viele Unternehmen ihr bestehendes Geschäftsmodell überdenken und verändern. Die Herbert Rehn GmbH hat schon früh aus der Not eine Tugend gemacht – in vielerlei Hinsicht.

Jörg Zimmer öffnet die Tür zum Konferenz­raum mit Elan. Ein Bild von einem Boot auf hoher See prangt dort sicherlich nicht zufällig an der Wand. „Ein ruhiges Meer hat noch keinen erfahrenen Segler hervor­gebracht“, ist dort zu lesen. Wenn es darum geht, sein Unternehmen durch stürmische Zeiten zu manövrieren, ist der Geschäfts­führer der Herbert Rehn GmbH in Hamburg-Bergedorf als äußerst versiert zu bezeichnen. „Dass wir aller­dings mal in großem Stil an der Eindämmung einer Pandemie beteiligt sein würden, habe ich mir nicht träumen lassen“, erklärt der 54-Jährige.

Geschäftsführer Jörg Zimmer
Geschäftsführer Jörg Zimmer ist gelernter Industriemeister und technischer Betriebswirt Foto: VBG/Cathrin Müller

Noch Anfang 2020 trug die Glas­produktion zu rund 25 Prozent des Umsatzes in seinem Unternehmen bei, das sich als „universeller System­partner für Industrie und Handel“ bezeichnet. 40 Prozent wurden aus Atem­schutz-Services erzielt, 20 aus der logistischen Montage in der Industrie. Rund 15 Prozent entfielen auf die Produktion von technischen Textilien. Dann kam das Corona­virus. Viele Kundinnen und Kunden stornierten ihre Aufträge oder konnten bereits produzierte Waren nicht mehr abnehmen. Zimmer wurde erfinderisch. Bereits zu Beginn der Pandemie hatte die Stadt Hamburg Unternehmen dazu auf­gerufen, sich zu melden, wenn sie Masken, Schutz­hand­schuhe und Schutz­brillen anbieten könnten. „Das können wir“, dachte sich der 54-Jährige. Zu Hause am Küchen­tisch entwickelte er einen Proto­typ – und stellte ihn der Stadt vor. Diese bestellte zunächst 900.000 Masken – zur Hälfte Baum­woll­masken, zur Hälfte FFP2-Masken für das Kranken­haus­personal. Während der Pandemie-Hochzeit wurde drei­schichtig an sieben Tagen pro Woche gearbeitet. 165 Menschen beschäftigt die Herbert Rehn GmbH aktuell. Für die Masken­produktion hat Zimmer rund 90 Menschen aus mehr als acht Nationen ein­gestellt. Die meisten sind aus Ländern wie Afghanistan, dem Iran, dem Irak oder Syrien geflüchtet und waren vorher arbeits­los. Auf einer Karte haben alle ihre Herkunfts­länder mit Reiß­zwecken markiert. Zimmer zahlt ihnen deutlich mehr als den Mindest­lohn. Auf das „made in Germany“ ist er hin­sichtlich all seiner Produkte merklich stolz, auch wenn er weiß: „Die Masken sind teurer als die aus China. Irgend­wann werden uns die Asiaten aus dem Markt drängen.“

Weltkarte mit Stecknadeln
Zimmer hat alle Beschäftigten gebeten, auf einer Landkarte ihr Herkunftsland zu markieren. Viele sind geflüchtet. Foto: VBG/Cathrin Müller

Bislang ist das Sortiment stetig gewachsen: Von der Blümchen­maske aus Baumwolle über das Kreativ­set für Familien zum Selbst­bemalen und die stylische Neopren­maske mit Strass bis zur FFP2-Maske ist alles im Programm. Knack­punkt für die Produktion der Letzt­genannten war die Beschaffung des dafür nötigen Materials, eines mehr­schichtigen Vlies­stoffes. Potenzielle Liefer­betriebe antworteten einfach nicht. Zimmer wandte sich kurzer­hand über eine Online-Business­plattform direkt an den Vorstand und verhandelte nach Mittel­ständler­art von Chef zu Chef persönlich. Kurze Zeit später war man sich handels­einig.

„Wir sind gesund, aber wir machen auch keine mehr­stelligen Gewinne. Das Geld, das wir verdient haben, haben wir in die Modernisierung der Produktions­stätte gesteckt“, sagt Zimmer. Dabei hat er mehr als 3,5 Millionen Euro investiert, zum Beispiel für 200 Näh­maschinen. Es kommt auch noch eine voll­automatische Pack­maschine. Eine voll­automatische Anlage für die Produktion der medizinischen Mund-Nase-Schutz­masken ist bereits im Einsatz, bald folgt eine zur automatisierten Herstellung der FFP2-Masken. „Aber ich möchte ja die Leute weiter beschäftigen“, sagt Zimmer. Deshalb hat er sich schon wieder etwas Neues ausgedacht: Im Zuge der zunehmenden Corona­virus-Tests ist auch der Bedarf an Einweg­kitteln in Deutschland immens gestiegen. Die öffentliche Aus­schreibung bestand darin, dass diese in Deutschland hergestellt werden müssen. „Ich wusste sofort, dass wir das können“, so Zimmer. Um für den anvisierten Preis produzieren zu können, musste er allerdings besonders erfinderisch sein und bestimmte Arbeits­schritte einsparen. Bündchen zu nähen etwa ist in der Produktion sehr aufwendig. Statt­dessen werden bei den Rehn-Kitteln Löcher in die Ärmel gestanzt, durch welche die Medizinerinnen und Mediziner die Daumen stecken und einen Handschuh darüber­stecken. So sind sie sogar noch besser geschützt als mit einem Bündchen, freut sich Zimmer.

Als Hohlglas werden Produkte bezeichnet, die aufgrund ihrer Form befüllt werden können. Hierfür sind hohe Temperaturen nötig.

Foto: VBG/Cathrin Müller

Trotz eines Umbaus auf allen Ebenen ist das Unter­nehmen dank seiner Fähigkeit zur Innovation gestärkt aus der Coronavirus-Krise hervor­gegangen. Seit Zimmer im Jahr 2011 die Geschäfts­führung übernahm, arbeitet er an der zukunfts­fähigen Ausrichtung der Firma. Der Betrieb fertigte damals mit zwölf Beschäftigten Glas­röhrchen, sogenanntes Hohlglas, ein Nischen­produkt. „So gut wie alles war veraltet“, erinnert sich Zimmer, der von den Gesellschaftern des Unternehmens beauftragt wurde, eine Zukunftsstrategie zu entwickeln. Er behielt die Hohl­glas­konfektionierung dennoch bei, entwickelte dazu aber gleich drei neue Standbeine. Eines davon ist der Bereich „Industrial Supply“, der alle Services von der grundsätzlichen Montage bis zur Verpackung von Produkten beinhaltet und Unternehmen, die keine eigene Logistik und Produktion aufbauen möchten, unterstützt.

Dazu errichtete Zimmer das Geschäfts­feld „Technische Textilien“, in dem insbesondere Leder, Nylon, Neopren und Mehr­schicht­laminate weiter­verarbeitet werden. Rehn stellt hochwertige Tauch­bekleidung her, mit der unter anderem Taucherinnen und Taucher der Bundes­marine, der neuseeländischen Armee oder der indonesischen Streit­kräfte aus­gestattet werden. Dabei geht es auch viel ums Atmen und um den Atemschutz, was zum nächsten Geschäfts­feld führt: Das Unter­nehmen bietet Service­leistungen für Atem­luft­flaschen, stellt Tauch­geräte her und fertigt Komponenten für die Sauer­stoff­anlagen in der Flug­zeug­industrie. Wer das alles zusammen­denkt, landet fast unweigerlich bei der Masken­produktion.

Die weiteren Geschäfts­bereiche wurden geschaffen, um das Thema Hohlglas zu stützen. „Wir wären aber nicht Rehn, wenn wir daraus nicht auch wieder etwas machen würden“, erklärt Zimmer. Bei einem Tauch­event in Singapur Ende 2019 hatte er beobachtet, wie sehr sich Branchen wie Gastronomie, Hotellerie und die gesamte Event­branche Gedanken über das bevorstehende Verbot von Plastik­stroh­halmen machten. Kurzerhand stieg die Herbert Rehm GmbH erfolg­reich in die Produktion von Glas­trink­halmen ein. „Bedarfe entdecken“, nennt Zimmer dieses Vorgehen. Und das hat System: Gemeinsam mit einem Unternehmen, das Helme für Feuer­wehr­leute produziert, ist er schon wieder dabei, etwas Neues zu entwickeln.

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