
Jörg Zimmer öffnet die Tür zum Konferenzraum mit Elan. Ein Bild von einem Boot auf hoher See prangt dort sicherlich nicht zufällig an der Wand. „Ein ruhiges Meer hat noch keinen erfahrenen Segler hervorgebracht“, ist dort zu lesen. Wenn es darum geht, sein Unternehmen durch stürmische Zeiten zu manövrieren, ist der Geschäftsführer der Herbert Rehn GmbH in Hamburg-Bergedorf als äußerst versiert zu bezeichnen. „Dass wir allerdings mal in großem Stil an der Eindämmung einer Pandemie beteiligt sein würden, habe ich mir nicht träumen lassen“, erklärt der 54-Jährige.
Noch Anfang 2020 trug die Glasproduktion zu rund 25 Prozent des Umsatzes in seinem Unternehmen bei, das sich als „universeller Systempartner für Industrie und Handel“ bezeichnet. 40 Prozent wurden aus Atemschutz-Services erzielt, 20 aus der logistischen Montage in der Industrie. Rund 15 Prozent entfielen auf die Produktion von technischen Textilien. Dann kam das Coronavirus. Viele Kundinnen und Kunden stornierten ihre Aufträge oder konnten bereits produzierte Waren nicht mehr abnehmen. Zimmer wurde erfinderisch. Bereits zu Beginn der Pandemie hatte die Stadt Hamburg Unternehmen dazu aufgerufen, sich zu melden, wenn sie Masken, Schutzhandschuhe und Schutzbrillen anbieten könnten. „Das können wir“, dachte sich der 54-Jährige. Zu Hause am Küchentisch entwickelte er einen Prototyp – und stellte ihn der Stadt vor. Diese bestellte zunächst 900.000 Masken – zur Hälfte Baumwollmasken, zur Hälfte FFP2-Masken für das Krankenhauspersonal. Während der Pandemie-Hochzeit wurde dreischichtig an sieben Tagen pro Woche gearbeitet. 165 Menschen beschäftigt die Herbert Rehn GmbH aktuell. Für die Maskenproduktion hat Zimmer rund 90 Menschen aus mehr als acht Nationen eingestellt. Die meisten sind aus Ländern wie Afghanistan, dem Iran, dem Irak oder Syrien geflüchtet und waren vorher arbeitslos. Auf einer Karte haben alle ihre Herkunftsländer mit Reißzwecken markiert. Zimmer zahlt ihnen deutlich mehr als den Mindestlohn. Auf das „made in Germany“ ist er hinsichtlich all seiner Produkte merklich stolz, auch wenn er weiß: „Die Masken sind teurer als die aus China. Irgendwann werden uns die Asiaten aus dem Markt drängen.“
Bislang ist das Sortiment stetig gewachsen: Von der Blümchenmaske aus Baumwolle über das Kreativset für Familien zum Selbstbemalen und die stylische Neoprenmaske mit Strass bis zur FFP2-Maske ist alles im Programm. Knackpunkt für die Produktion der Letztgenannten war die Beschaffung des dafür nötigen Materials, eines mehrschichtigen Vliesstoffes. Potenzielle Lieferbetriebe antworteten einfach nicht. Zimmer wandte sich kurzerhand über eine Online-Businessplattform direkt an den Vorstand und verhandelte nach Mittelständlerart von Chef zu Chef persönlich. Kurze Zeit später war man sich handelseinig.
„Wir sind gesund, aber wir machen auch keine mehrstelligen Gewinne. Das Geld, das wir verdient haben, haben wir in die Modernisierung der Produktionsstätte gesteckt“, sagt Zimmer. Dabei hat er mehr als 3,5 Millionen Euro investiert, zum Beispiel für 200 Nähmaschinen. Es kommt auch noch eine vollautomatische Packmaschine. Eine vollautomatische Anlage für die Produktion der medizinischen Mund-Nase-Schutzmasken ist bereits im Einsatz, bald folgt eine zur automatisierten Herstellung der FFP2-Masken. „Aber ich möchte ja die Leute weiter beschäftigen“, sagt Zimmer. Deshalb hat er sich schon wieder etwas Neues ausgedacht: Im Zuge der zunehmenden Coronavirus-Tests ist auch der Bedarf an Einwegkitteln in Deutschland immens gestiegen. Die öffentliche Ausschreibung bestand darin, dass diese in Deutschland hergestellt werden müssen. „Ich wusste sofort, dass wir das können“, so Zimmer. Um für den anvisierten Preis produzieren zu können, musste er allerdings besonders erfinderisch sein und bestimmte Arbeitsschritte einsparen. Bündchen zu nähen etwa ist in der Produktion sehr aufwendig. Stattdessen werden bei den Rehn-Kitteln Löcher in die Ärmel gestanzt, durch welche die Medizinerinnen und Mediziner die Daumen stecken und einen Handschuh darüberstecken. So sind sie sogar noch besser geschützt als mit einem Bündchen, freut sich Zimmer.

Als Hohlglas werden Produkte bezeichnet, die aufgrund ihrer Form befüllt werden können. Hierfür sind hohe Temperaturen nötig.
Foto: VBG/Cathrin MüllerTrotz eines Umbaus auf allen Ebenen ist das Unternehmen dank seiner Fähigkeit zur Innovation gestärkt aus der Coronavirus-Krise hervorgegangen. Seit Zimmer im Jahr 2011 die Geschäftsführung übernahm, arbeitet er an der zukunftsfähigen Ausrichtung der Firma. Der Betrieb fertigte damals mit zwölf Beschäftigten Glasröhrchen, sogenanntes Hohlglas, ein Nischenprodukt. „So gut wie alles war veraltet“, erinnert sich Zimmer, der von den Gesellschaftern des Unternehmens beauftragt wurde, eine Zukunftsstrategie zu entwickeln. Er behielt die Hohlglaskonfektionierung dennoch bei, entwickelte dazu aber gleich drei neue Standbeine. Eines davon ist der Bereich „Industrial Supply“, der alle Services von der grundsätzlichen Montage bis zur Verpackung von Produkten beinhaltet und Unternehmen, die keine eigene Logistik und Produktion aufbauen möchten, unterstützt.
Dazu errichtete Zimmer das Geschäftsfeld „Technische Textilien“, in dem insbesondere Leder, Nylon, Neopren und Mehrschichtlaminate weiterverarbeitet werden. Rehn stellt hochwertige Tauchbekleidung her, mit der unter anderem Taucherinnen und Taucher der Bundesmarine, der neuseeländischen Armee oder der indonesischen Streitkräfte ausgestattet werden. Dabei geht es auch viel ums Atmen und um den Atemschutz, was zum nächsten Geschäftsfeld führt: Das Unternehmen bietet Serviceleistungen für Atemluftflaschen, stellt Tauchgeräte her und fertigt Komponenten für die Sauerstoffanlagen in der Flugzeugindustrie. Wer das alles zusammendenkt, landet fast unweigerlich bei der Maskenproduktion.
Die weiteren Geschäftsbereiche wurden geschaffen, um das Thema Hohlglas zu stützen. „Wir wären aber nicht Rehn, wenn wir daraus nicht auch wieder etwas machen würden“, erklärt Zimmer. Bei einem Tauchevent in Singapur Ende 2019 hatte er beobachtet, wie sehr sich Branchen wie Gastronomie, Hotellerie und die gesamte Eventbranche Gedanken über das bevorstehende Verbot von Plastikstrohhalmen machten. Kurzerhand stieg die Herbert Rehm GmbH erfolgreich in die Produktion von Glastrinkhalmen ein. „Bedarfe entdecken“, nennt Zimmer dieses Vorgehen. Und das hat System: Gemeinsam mit einem Unternehmen, das Helme für Feuerwehrleute produziert, ist er schon wieder dabei, etwas Neues zu entwickeln.
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