
Neue Zeitrechnung
Im Großraumbüro der Agentur Rheingans Digital Enabler, die Unternehmen bei der digitalen Transformation berät, startet der Arbeitstag mit einem Countdown. Auf der Uhr stehen fünf Stunden. In dieser Zeit managen 15 Mitarbeitende von 8 bis 13 Uhr Projekte, die sie bis vor rund einem Jahr noch in den branchenüblichen acht Stunden erledigten. Im Oktober 2017 führte Geschäftsführer Lasse Rheingans als erster Unternehmer in Deutschland den Fünf-Stunden-Tag bei vollem Lohn und Urlaubsanspruch ein. Damit dies gelingt, sind neben effektivitätssteigernder Bürosoftware und straff gehaltenen Meetings vor allem eine offene Gesprächskultur und der Austausch im Team wichtig – etwa darüber, wie man die gemeinsame Arbeit noch weiter verbessern kann. Smartphones sind während der Arbeitszeit nicht in Gebrauch, und im Großraumbüro herrscht rücksichtsvolle Ruhe. Rheingans, sensibilisiert für das hohe Ablenkungspotenzial von Handys und WhatsApp, spricht aber keine Verbote aus. Die soziale Interaktion findet nach Feierabend, etwa beim gemeinsamen Mittagessen, statt.

Lasse Rheingans, Geschäftsführer von Rheingans Digital Enabler, führte 2017 in seiner Bielefelder Agentur als erster deutscher Unternehmer den Fünf-Stunden-Tag ein. „Arbeit 4.0“ bedeutet für ihn vor allem: Flexibilität. Sein eigener Arbeitstag hat derzeit mehr als fünf Stunden. Perspektivisch ist für ihn das Arbeitsmodell „Führung in Teilzeit“ denkbar.
Foto: VBG/Nils Hendrik Müller„Als Unternehmer bekomme ich so viel mehr von meinem Team. Es wird effektiver gearbeitet, die Mitarbeitenden sind zufriedener, manche bilden sich in ihrer Freizeit fort“, erzählt der 37-Jährige. Ein Aspekt, der auch für die Kunden relevant ist –für sie hat sich in Sachen Qualität und Verlässlichkeit nichts geändert. Rheingans nutzt das Modell gleichzeitig auch als Tool zur Prozessoptimierung. „Wir haben schnell gesehen, wer überlastet ist, und konnten durch die Einstellung eines neuen Mitarbeiters darauf reagieren.“ Was als zeitlich begrenztes Experiment startete, läuft nun vorerst unbefristet weiter.
Das Tempo der Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahren rasant erhöht. „Ich kenne kaum Menschen, deren Work-Life-Balance in Ordnung ist“, sagt Rheingans. „Ich habe Burnouts und Suizide von Menschen erlebt, die glaubten, sie würden nicht mehr funktionieren, nicht mehr das schaffen, was die Gesellschaft von ihnen fordert.“ Ein Dilemma, auf das er aufmerksam machen möchte. „Wer fünf statt acht Stunden am Schreibtisch sitzt, hat etwa mehr Zeit für Sport“, so der Unternehmer. Perspektivisch möchte er in seiner Agentur Achtsamkeitstrainings und Yoga anbieten.
„Für die Zukunft der Arbeit sind kreative Lösungen gefragt, die wir heute noch nicht kennen. Diese finden wir jedoch nicht, indem wir überarbeitete Menschen beschäftigen.“ Und Rheingans fährt fort: „Wir müssen Umstände schaffen, in denen Menschen zufriedener, kreativer und besser als heute arbeiten können – das geht in jeder Branche.“
Digitales Handwerk
„Viele Menschen haben das Bild von Pumuckl und Meister Eder an seiner Hobelbank im Kopf, wenn sie ans Tischlerhandwerk denken“, sagt Sebastian Bächer. Er ist Geschäftsführer der Kölner Tischlerei Bächer Bergmann, die sich auf den Bau komplexer Skulpturen und Prototypen etwa für Kunst- und Designschaffende spezialisiert hat.
Seit Gründung des Betriebs vor achteinhalb Jahren setzt der 36-Jährige digitale Technologien ein: „Das Tischlerhandwerk braucht Innovation, um nicht von der Industrie abgehängt zu werden.“ Computergesteuerte CNC-Fräsen, Laser-Cutter, 3-D-Drucker und ein 7-Achs-Roboter gehören zu den Arbeitsmitteln der Tischler, Designer, Architekten und Programmierer im Team. 2018 gewann seine Tischlerei den WATIFY-Award der Europäischen Kommission und wurde als digitaler Vorreiter ausgezeichnet. Bächer ist dennoch überzeugt: „Der Einsatz digitaler Technologien ist auch nur ein Arbeitsschritt im gesamten Fertigungsprozess, in dem der Mensch noch immer die tragende Rolle hat.“
Innovation aus Schokolade
Jean Warnecke taucht Landschaften in Schokolade. In seiner Koblenzer „Konditorei Café Baumann“ ist das UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal in Zartbitter und Vollmilch erhältlich. Ein Produktklassiker in der Konditorei, dessen Kerngeschäft das Confiserie-Handwerk ist. Was vor zwölf Jahren mit einem Kundenwunsch begann, ist heute Teil des digitalen Geschäftsmodells. Damals ließ Warnecke im Kompetenzzentrum Digitales Handwerk aus den 3-D-Geobasisdaten des Mittelrheintals eine Schokoladenform drucken. Heute entstehen die Prototypen der Formen mittels digitaler Lasertechnik. Online können Kundinnen und Kunden die Prägungen der Schokoladenformen selbst designen.
„Man muss die digitalen Möglichkeiten einfach einsetzen, dann kann man auch von ihnen profitieren“, sagt Warnecke. Sein Handwerk sieht er nicht in Gefahr, denn die eigentliche Arbeit wird immer noch von Hand gemacht. Dem Konditor ist es wichtig, mit der Zeit zu gehen: „Es ist immer gut, zu schauen, wie Handwerksbetriebe anderer Branchen mit der Digitalisierung umgehen, und zu überlegen, was man für sein eigenes Geschäft ableiten kann. Daraus können wir nur lernen.“
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