
Coach Mike Taylor kugelte mit einer Rolle vorwärts in seine Mannschaft, Spieler, Fans und Funktionäre taumelten vor Freude. Der 30. April 2019 gilt bei den Hamburg Towers als bislang wichtigstes Datum der Vereinsgeschichte: Nach einem dramatischen Auswärtsspiel gegen die Niners Chemnitz stand es am Ende 78:72 für die Hanseaten. Der sportliche Aufstieg in die Erste Basketball-Bundesliga war gesichert. Gerade einmal vier Tage später erkämpfte sich die Mannschaft den Meistertitel in der BARMER 2. Basketball-Bundesliga. Das Finalspiel gegen die Nürnberg Falcons beendeten die Towers mit 99:94. Prominente wie die Moderatorin Sylvie Meis feierten ausgelassen mit. Der Hamburger Senator für Inneres und Sport Andy Grote bejubelte ein „neues Kapitel für den Sport in Hamburg“. Schließlich sind die „Türme“ aktuell der einzige Erstligaklub in einer großen Mannschaftssportart, mit dem die Hansestadt aufwarten kann.
Innovativ auf höchstem Niveau

Trainer Mike Taylor trainierte schon die polnische Basketball-Nationalmannschaft.
Foto: VBG/Cathrin MüllerSeit 2018 ist der US-Amerikaner Mike Taylor, der zuvor unter anderem die deutschen Vereine Chemnitz und Ulm betreut hat, Cheftrainer der Hamburg Towers. Nach dem Aufstieg verstärken Neuzugänge wie Ex-Nationalspieler Heiko Schaffartzik die Mannschaft. Taylor setzt allerdings hauptsächlich auf junge, noch weitgehend unbekannte Talente – und auf ein innovatives Gesundheitskonzept für die Spieler. Hierfür zeichnet Birte Gehrmann maßgeblich verantwortlich. Sie ist über ihren Arbeitgeber, den Lanserhof, seit der Saison 2017/2018 als leitende Physiotherapeutin für die Towers tätig und beim Training sowie bei den Spielen immer dabei. 16 Jahre lang hat sie selbst bei Hamburger Klubs hochkarätigen Fußball gespielt, heute schlägt ihr Herz genauso stark für den Basketball. Die 36-Jährige sorgt nicht nur dafür, dass die Profis nach Verletzungen schnell wieder dribbeln und dunken können. Sie passt außerdem auf, dass sie sich möglichst erst gar nicht verletzen. Dafür hat sie ein umfangreiches Diagnose-Konzept entwickelt, auf das der Verein zu Anfang der vergangenen Saison umstellte. Mithilfe einmal wöchentlich stattfindender Screenings, bei denen festgestellt wird, wie fit die Spieler sind, entwickelt Gehrmann in Zusammenarbeit mit den Ärzten und Trainern für jeden der Profis einen ganz individuellen Betreuungsplan, der Training, Ernährung und Therapie beinhaltet. „Ich kann hier wirklich mitgestalten“, berichtet sie erfreut. „Dank des engmaschigen Monitorings und des aufwendigen jährlichen Medical Check-up zu Beginn der Vorsaison kennen wir die Optimalwerte der Spieler genau und wissen schon zu Beginn einer Verletzung, in welchen Zustand sie wieder kommen können und sollen.“ Die VBG bezuschusste die Strategie des Vereins im Rahmen ihres Prämienverfahrens mit 2.100 Euro. „Davon haben wir eine neue Behandlungsbank für die Arena gekauft“, verrät die engagierte Therapeutin.
Birte Gehrmann hat zudem eine verbesserte Trainingssteuerung eingeführt, und die Spieler vertrauen ihr. Statt der bislang üblichen freien Zeit direkt nach den Spielen nehmen ihre Jungs nun am Folgetag an einem Regenerationsprogramm mit Massagen, Faszientraining und Saunagängen teil. Erst am zweiten Tag haben sie frei. Belastung und Erholung als eine Einheit zu betrachten empfehlen auch die Sportwissenschaftler Andrea Eisenhut und Fritz Zintl in ihrem Grundlagenwerk zum Ausdauertraining.
Sportlich in den Wettbewerb
Sportvereine, die ihre Spielerinnen und Spieler vor Verletzungen schützen, sparen damit nicht nur Geld, sondern erhöhen auch ihren Wettbewerbsvorteil gegenüber den Ligakonkurrentinnen und -konkurrenten. Dem VBG-Sportreport 2018 zufolge verletzen sich 70,7 Prozent aller eingesetzten Basketballer mindestens einmal pro Saison. „Am häufigsten ist das Sprunggelenk betroffen“, bestätigt Birte Gehrmann. „Es ist uns aber gelungen, die Anzahl der Verletzungen im letzten Jahr deutlich zu reduzieren.“
Mit dem neuen Präventionskonzept haben die Towers beste Chancen. Perspektivisch peile man die Teilnahme an den Play-offs an, bei denen die besten acht Mannschaften zum Saisonende gegeneinander antreten, erklärt Marvin Willoughby, Geschäftsführer und sportlicher Direktor des Vereins. Weitere Ziele: „Dass wir wie bereits in den vergangenen fünf Jahren unser Projekt zielstrebig weiterentwickeln, vor allem mit einer positiven Atmosphäre am Arbeitsplatz, und dass sich das Team gesund weiterentwickelt“, so der 2,02-Meter-Mann.
Aufsteiger mit Herz
Mit „Projekt“ meint der ehemalige Basketball-Nationalspieler die Leitidee der Hamburg Towers: Leistungssport und Sozialarbeit miteinander zu verbinden. Der Verein begann als Jugend- und Sozialprojekt im Stadtteil Wilhelmsburg und ist dort nach wie vor stark verwurzelt. Das dynamische Viertel ist mit über 50.000 Einwohnerinnen und Einwohnern sowie einer Fläche von über 35 Quadratkilometern der größte Stadtteil der Hansestadt, der darüber hinaus die edel-optics.de Arena beherbergt, in der die Heimspiele der Towers stattfinden. Die Halle ist dabei so vielseitig wie der Verein: Während der Internationalen Gartenschau 2013 wurden dort Blumen ausgestellt, bevor sie anschließend zu einer modernen Sporthalle mit Platz für 3.500 Zuschauerinnen und Zuschauer umgebaut wurde. Wenn die Towers spielen, ist sie so gut wie immer ausgebucht. Der Verein gilt als Instanz – auch weil die Einnahmen aus dem Profisport zum Ausbau der sozialen und Breitensportaktivitäten verwendet werden. Die alteingesessene Fabrikarbeiterin trainiert also genauso bei den Towers wie der zugezogene Lehramtsstudent. „Von der Insel in die Welt, der Ball im Korb ist das, was zählt“, heißt es in der Vereinshymne.
2015 wurde Vereinsgründer Willoughby für sein soziales Engagement mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Der 41-Jährige mit deutsch-nigerianischen Wurzeln wuchs selbst in Wilhelmsburg auf. Seinen ersten Profi-Vertrag unterschrieb er mit 16 Jahren. Als Nationalspieler absolvierte er 35 Länderspiele für Deutschland. Ex-Kollege und Freund Dirk Nowitzki gratulierte als einer der Ersten zum Aufstieg.
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