
Herr von Rohr, wann waren Sie zum letzten Mal mutig?
Karl von Rohr: Ich finde es mutig, seiner eigenen Überzeugung treu zu bleiben, auch bei Gegenwind. Es gab und gibt noch immer Beobachter, die unsere Unternehmensstrategie sehr kritisch betrachten. Insofern waren wir mutig, als wir Anfang Juli eine neue Strategie für unsere Bank verkündet haben – zumal das ökonomische Umfeld herausfordernd war und ist. Aber wir waren im Vorstand überzeugt, dass dies jetzt ein richtiger und wichtiger Schritt ist. Und wir haben entsprechend Mut bewiesen. Eine strategische Neuausrichtung hat immer die Zukunft im Blick, und der Erfolg kommt in vielen kleinen Schritten – und nicht in einem großen. Daher werbe ich unermüdlich für unsere Strategie und erfahre dabei auch viel Zuspruch. Das macht mir Mut.

Karl von Rohr ist seit 1997 bei der Deutsche Bank AG, seit 2018 amtiert er als stellvertretender Vorstandsvorsitzender.
Foto: VBG/Nathan ZentveldVor dem Mut kommt die Angst. Wie haben Sie sich überwunden?
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ich gehe Dinge immer eher analytisch an, wäge die Argumente ab und suche die Diskussion mit meinen Kollegen und mit Mitarbeitern. Das ist Kopfarbeit. Zu einer guten Entscheidung gehört aber auch das Bauchgefühl. Im Idealfall widersprechen sich Kopf und Bauch nicht, sonst muss man sich um einen Ausgleich bemühen. Wichtige Entscheidungen diskutieren wir natürlich ausgiebig im Team. Und weil wir wesentliche Entscheidungen gemeinsam entwickeln und zusammen umsetzen, muss ich mich gar nicht überwinden.
Und die Deutsche Bank? Wann in ihrer 150-jährigen Geschichte musste sie besonders mutig sein?
Unternehmen stärken ihre Belegschaft durch mutige Entscheidungen. In der langen Geschichte unserer Bank gab es einige Entscheidungen, die sehr wichtig waren. So hat 1958 unser damaliger Vorstandssprecher Hermann Josef Abs gegen vielerlei Bedenken entschieden, eine Wandelanleihe der „Anglo American Corporation of South Africa“ über 50 Millionen Deutsche Mark als erste ausländische Anleihe seit 1914 im Heimatmarkt zu platzieren. Das war ein großes Prestige für die Deutsche Bank und hat unsere Reputation nach innen und außen gestärkt. 1974 bewies unsere Bank ebenso viel Mut, indem sie unser bis heute gültiges, markantes Logo einführte. Damals war es keinesfalls selbstverständlich, sich derart puristisch zu präsentieren, ganz ohne modischen Akzent. Und sicherlich war es eine mutige unternehmerische Entscheidung, ins Investmentbanking einzusteigen – auch wenn uns dies immer wieder Kritik einbringt. Wir sind dadurch zur globalen Bank geworden.
Die Finanzbranche wandelt sich stark. Machen Fintech-Firmen das traditionelle Bankengeschäft überflüssig?
Natürlich sind wir in bestimmten Bereichen im Wettbewerb mit den Fintechs und auch anderen IT-Unternehmen. Und natürlich gibt es Leute, die sagen: Das traditionelle Bankgeschäft wird es so nicht mehr geben. Aber das sehe ich anders. Unser Vorteil als große und global agierende Bank ist: Wir erreichen viele Kunden. Das können Fintechs in der Regel noch nicht. Insofern profitieren wir voneinander. Wir sind mit einer Reihe von Fintechs Partnerschaften eingegangen und haben Gemeinschaftsunternehmen, also Joint Ventures, gegründet, in denen sie ihre Innovationskraft einbringen und wir unsere Erfahrung im massentauglichen Kundengeschäft.
Wie reagiert die Deutsche Bank auf diese neue Konkurrenz?
Indem wir uns damit intensiv beschäftigen. Für die Deutsche Bank ist es entscheidend, in neue, innovative Wege zu investieren. So können wir unseren Kunden einen ganzheitlicheren Service bieten und zusätzliche Einnahmen durch Dienstleistungen „beyond banking“, also über das Bankgeschäft hinaus, erschließen. Viele Menschen, auch viele unserer Kunden, haben sich daran gewöhnt, auf digitalen Plattformen wie Amazon oder Apple rund um die Uhr auf ein umfassendes Angebot zugreifen zu können. Sie erleben auf einer geradezu grenzenlosen Oberfläche kurze, effiziente Interaktion. Wir als Deutsche Bank arbeiten daran, die sich daraus für uns bietenden Chancen zu nutzen.
Wie reagiert die Deutsche Bank auf die neuen Ansprüche und Erwartungen von Kunden? Welchen Stellenwert nimmt der Kunde bei Ihnen im Unternehmen ein?
Unsere Kunden sind der Dreh- und Angelpunkt für unser tägliches Geschäft, wir wollen sie zufriedenstellen und im besten Fall begeistern. Verbesserungen, die wir erzielen wollen, müssen sich immer positiv auf unsere Kunden auswirken. Wir werden deshalb unser Angebot künftig noch mehr auf unsere Kunden ausrichten und unsere Prozesse in sogenannten „Customer Journeys“ abbilden, also alles vom Kunden her denken und wie er es aus seiner Sicht erlebt. Dazu gehört eine deutlich intensivierte Messung von Kundenzufriedenheitswerten an den verschiedenen Punkten, wo wir Kundenkontakte haben – sei es in der Filiale, sei es am Telefon oder über das Internet. Zudem wollen wir noch mehr digitale und persönliche Angebote entwickeln, die leicht verständlich und einfach zugänglich sind; so steigern wir die Bereitschaft unserer Kunden, uns weiterzuempfehlen – gerade auch unter jungen Leuten – und wir gewinnen wieder mehr Kunden hinzu.
Was gerade junge Unternehmen auszeichnet, ist deren höhere Flexibilität: Viele arbeiten explizit agil. Wie agil ist die Deutsche Bank?
In der Bankenwelt spielt agiles Arbeiten eine immer größere Rolle. Dabei muss aber nicht überall gleichermaßen agil gearbeitet werden, denn es gibt auch Bereiche, in denen agiles Arbeiten nur bedingt möglich ist. Wo sich agiles Arbeiten anbietet, sollte man wiederum mutig und zugleich wohlüberlegt vorgehen. In unserer eigenen Digitalfabrik werden selbstverständlich neue Arbeitsmethoden angewendet wie „Scrum“ oder „Design Thinking“. Wer auf Augenhöhe mit Fintechs und Start-ups arbeiten möchte, muss deren Arbeitsmethoden beherrschen. Zudem haben wir agiles Arbeiten als Konzept zuletzt sehr erfolgreich im Geschäft mit unseren Vermögenskunden eingeführt und planen, dies auch im breiten Privatkundengeschäft anzuwenden. Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen: Wenn man Teams eigenverantwortlich mit neuen Arbeitsformen experimentieren lässt, steigen die Motivation, Leistung und Kreativität jedes Einzelnen. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass flexibles und agiles Arbeiten viel Disziplin, gute Organisation und klare Absprachen erfordert – und der Anspruch an die einzelnen Beschäftigten steigt auch.
Flexibles und agiles Arbeiten erfordert viel Disziplin, gute Organisation und klare Absprachen – und der Anspruch an die einzelnen Beschäftigten steigt auch.
Laut Job-Futuromat können 71 Prozent der Tätigkeiten eines Bankberaters schon heute von Robotern übernommen werden. Würden Sie Ihren Enkeln noch zu einer Banklehre raten?
Ich habe noch keine Enkel. Wenn Sie mich aber fragen, ob der Bankberuf nach wie vor attraktiv ist, kann ich ganz klar mit einem Ja antworten. Wir haben nach wie vor Tausende von Bewerbungen pro Jahr und sind kürzlich in einer angesehenen Umfrage als einer der besten Arbeitgeber in Deutschland ausgezeichnet worden. Ohne Zweifel wandelt sich die Bankenbranche wie jede andere, in der Technik eine große Rolle spielt. Doch dabei gilt auch: Jeder Wandel bringt neue Chancen. Und die Faszination des klassischen Bankgeschäfts – Kunden unterstützen, Privatleuten ebenso wie Unternehmen in der Wirtschaft dienen – wird bleiben, unabhängig von den Technologien, mit denen wir arbeiten.

Ansprüche ändern sich sowohl bei Beschäftigten als auch bei Kundinnen und Kunden der Deutsche Bank AG. Durch die Digitalisierung lässt sich dies intelligent in Einklang bringen, sagt von Rohr.
Foto: VBG/Nathan ZentveldJüngere Beschäftigte treiben neue, flexiblere Arbeitszeitmodelle voran. Wie arbeitet man bei Ihnen?
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wünschen sich heutzutage mehr Flexibilität – sie wollen Beruf und Lebensgestaltung verbinden. Sie wollen die Vorteile eines großen, internationalen Unternehmens nutzen und über Bereiche und Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten. Gerade jungen Berufsanfängern ist es heute wichtig, Ideen einzubringen, nicht immer nur dasselbe zu machen und ausreichend Zeit für Freunde und Familie zu haben. Umgekehrt verlangen wir von Mitarbeitern Veränderungsbereitschaft, Mut zur Verantwortung und unternehmerisches Denken. Und unsere Kunden wollen, dass wir für sie da sind, wann und wo sie wollen – dabei spielen Filialöffnungszeiten nicht mehr die entscheidende Rolle. Die Wünsche der Arbeitnehmer und der Kunden liegen also gar nicht so weit auseinander und lassen sich durch die Digitalisierung intelligent in Einklang bringen.
Geht das: Karriere in der Deutschen Bank mit einer 32-Stunden-Woche?
Absolut. Wir haben viele Teilzeitkräfte und unterstützen unsere Beschäftigten dabei, ihren Beruf mit den privaten Verpflichtungen und Wünschen zu vereinbaren. In vielen Regionen haben wir eine sehr moderne Elternzeit-Regelung etabliert, die Müttern und Vätern gleichermaßen die Möglichkeit bietet, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Auch im Management arbeiten vermehrt Kolleginnen und Kollegen in Teilzeit. Der Konzern stellt dafür auch Infrastruktur zur Verfügung, wie betriebseigene Kindergartenplätze, oder unterstützt professionelle Angebote in der familiennahen Kinderbetreuung oder für pflegebedürftige Angehörige.
Erfahrungsgemäß gibt es unter Beschäftigten Mutige und weniger Mutige. Wie gelingt es Ihnen als Führungskraft, den Mut Ihrer Mitarbeitenden zu stärken, um Veränderungen im besten Fall mitzugestalten?
Indem ich als Führungskraft sowohl Richtung als auch Rückhalt gebe, um gemeinsam Herausforderungen zu meistern. Und hier spielen Team und Teamgedanke eine wesentliche Rolle. Ich habe erlebt, dass diejenigen, die Mut zur Verantwortung haben, diese auch gern übernehmen, wenn die Zuständigkeiten klar sind und Entscheidungsfreude positiv belegt ist. Wer merkt, dass es sanktioniert wird, wenn er etwas entscheidet und Verantwortung übernimmt, der lässt es beim nächsten Mal. Das heißt, man muss Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausdrücklich zu Entscheidungsfreude und mehr Mut ermuntern und sie dafür auch belohnen.
Der Druck in der Bankenbranche ist hoch. Wie sichern Sie, dass Ihre Beschäftigten gesund bleiben?
Wir haben unser Gesundheitsmanagement in der Deutschen Bank über viele Jahre hinweg systematisch ausgebaut, denn ein Arbeitgeber hat Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern. Unsere Mischung aus Informations- und Mitmachangeboten sowie professioneller Beratung klärt auf, macht gleichzeitig Spaß und hilft bei Bedarf ganz gezielt. Dazu gehört aber auch, an die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu appellieren und daran zu erinnern, wie wichtig es ist, auf die eigene Gesundheit zu achten. So können unsere Mitarbeiter Vorsorgeuntersuchungen machen oder sich zu einer gesunden Ernährung beraten lassen. Seit vielen Jahren geben wir uns außerdem jedes Jahr ein Gesundheitsmotto, um über ein Thema besonders aufzuklären, wie zum Beispiel über das Herz und wie man es fit hält oder über gesunde, abwechslungsreiche Ernährung. In diesem Jahr ist Achtsamkeit das Thema.
Darüber hinaus rückt für uns das Thema „gesundheitsgerechte Arbeitsgestaltung“ zunehmend in den Fokus. Wir machen uns verstärkt Gedanken darüber, wie wir Arbeit organisieren, damit sie motivierend und im besten Fall gesundheitsförderlich ist. Das betrifft viele Führungsthemen, aber auch Fragen, bis zu welchem Grad wir die Möglichkeiten neuer Technologien in mobil-flexiblen Arbeitsformen nutzen oder wie und wo wir agile Arbeitsmethoden forcieren. Dafür müssen wir viel genauer hinsehen als bisher und zunehmend Team- oder individuelle Lösungen finden. Eine Lösung für alle – das gibt es bei moderner Arbeitsgestaltung nicht mehr.
Das sind auch die Themen der Initiative „Mitdenken 4.0“, die beim Forum Finanzdienstleister der VBG im Mittelpunkt stehen. Sie haben für 2020 erneut Ihre Teilnahme an dem hochrangigen Fachkongress zugesagt. Was überzeugt Sie an der Initiative?
Mich überzeugt, dass wir hier die wichtigen Fragen von heute erforschen und diese vorantreiben, etwa „Führen durch Ziele“, „erweiterte Erreichbarkeit“ oder „agile Arbeit“ – und wir tun das nicht alleine, sondern gemeinsam als Sozialpartner unter dem Dach der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft. Seit 2017 haben wir durch die Initiative „Mitdenken 4.0“ wertvolle Erkenntnisse gewonnen, die weit über die Finanzwirtschaft hinaus auch für wissensbasierte Dienstleistungen in anderen Branchen von großem Interesse sind. Hier können wir neueste Entwicklungen Schritt für Schritt analysieren und verstehen, pragmatisch und lösungsorientiert – unabhängig von der Frage, ob wir dazu eine übergreifende Regulierung des Gesetzgebers, der Tarif- oder Betriebsparteien benötigen. In Zeiten von Arbeit 4.0 brauchen wir eine Sozialpartnerschaft 4.0: Die Sozialpartner wissen nach wie vor am besten, wie die Arbeitsbedingungen zu gestalten sind. Das alles überzeugt mich an dieser Initiative.
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