
„Agiles Arbeiten stammt aus der Softwareentwicklung“, sagt Antje Ducki, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Beuth Hochschule für Technik Berlin. „Es ist im Wesentlichen eine Form, ein komplexes Projekt zu bearbeiten – aber mit einigen Grundprinzipien.“ So ist zum Beispiel der Ablauf von Arbeitsphasen streng geregelt. Teams, die gemeinsam an einer Aufgabe sitzen, arbeiten nach einem festen Plan, der unter anderem regelmäßige interne und externe Absprachen einschließt.

Prof. Dr. Antje Ducki ist Arbeits- und Organisationspsychologin an der Beuth Hochschule für Technik Berlin.
Foto: Stefanie LoosEin bekanntes Modell dafür heißt „Scrum“, englisch für „Gedränge“. Es sieht vor, die Arbeit in zeitlich begrenzte Pakete einzuteilen, an deren Ende immer wieder die Rückschau und Evaluierung steht. Und natürlich der Blick voraus: Dazu dienen fixe Abstimmungen mit dem Kunden. Basierend auf dessen Input wird weiter – und manchmal auch in eine andere Richtung – gearbeitet. „Iterativ“ nennt sich diese schrittweise Annäherung an das fertige Produkt. Flexibilität ist in dieser Arbeitsweise automatisch gegeben. Sie entsteht jedoch auch dadurch, dass das Team selbstständig Entscheidungen trifft und Verantwortung übernimmt – Führungskräfte müssen loslassen. Ist ein Produkt abgegeben, endet der agile Arbeitsprozess noch nicht. Ein kritischer Blick auf den gesamten Ablauf liefert die Chance, als Team zu lernen. Klingt, als könne mit so vielen Regeln gar nichts schiefgehen. Oder?
Die Einstellung muss passen
Jein, gibt Antje Ducki zu verstehen: „Agile Methoden sind anspruchsvoll – es braucht ein gewisses Mindset für dieses stark reglementierte und strukturierte Vorgehen.“ Nicht jeder könne eigenverantwortlich agieren oder komme mit den zahlreichen Absprachen zurecht, bei denen man vielleicht auch mal keine glänzenden Lösungen, sondern fehlgeschlagene Versuche thematisieren muss. Die mentalen und sozialen Voraussetzungen für die agile Arbeitsweise müssen bei jedem Teammitglied gegeben sein. Sind sie es, profitieren Beschäftigte von einem großen Handlungsspielraum, der die Motivation fördert. Und auch von weniger Kontrolle, von ungestörtem Tüfteln ohne Unterbrechungen und der hohen Konzentration als Folge daraus. So kann tatsächlich die Effizienz gesteigert werden. Ein Effekt, den viele Unternehmen sich von einer agilen Arbeitsweise erhoffen.
Agile Methoden sind anspruchsvoll – es braucht ein gewisses Mindset für dieses stark reglementierte und strukturierte Vorgehen.
Agilität als Antwort?
Das ist nicht verwunderlich: Befeuert von der Digitalisierung, hat sich in allen Branchen das Tempo von Entwicklungs- und Produktionsprozessen rasant gesteigert. Betriebe müssen mithalten und suchen nach Wegen dafür. „Agile Methoden erscheinen hier als praktische Antwort“, so Antje Ducki. Doch nicht für jedes Unternehmen eignet sich das Vorgehen. Dass sich die Pflege oder das Erziehungswesen agil organisieren lassen, bezweifelt die Psychologin. Aber auch in produzierenden Unternehmen gibt es meist nur einzelne Bereiche, die sich komplett auf „agil“ umstellen lassen – in der Regel die Entwicklung. Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Da die externen Auftraggeber in einen agilen Arbeitsprozess stark einbezogen sind, entscheiden auch sie mit darüber, ob „agil“ im eigenen Betrieb wirklich fruchtet.
Drum prüfe …
Es wird klar: Bevor man eine agile Arbeitsweise etabliert, sollte man gut prüfen, ob sie wirklich sinnvoll eingesetzt werden und die erwünschten Resultate bringen kann. Nicht immer muss man den ganzen radikalen Weg gehen. Flexibilität lässt sich zum Beispiel auch dadurch fördern, dass man ganz allgemein häufigere Absprachen mit Auftraggebern einführt. Und Effizienz kann gesteigert werden, wenn man Vereinbarungen zur Erreichbarkeit trifft, die ungestörte Arbeitsphasen ermöglichen.
5 Fragen rund um agiles Arbeiten
Nun wird es konkret: Wie sich agile Methoden auf die Rolle der Führungskraft auswirken, für welche Unternehmensbereiche sie sich eignen und was man in puncto Gesundheit berücksichtigen muss, beantworten wir hier.

Agiles Arbeiten ist der letzte Schrei – aber was ist daran eigentlich neu?
Versteht man unter „agil“ einfach „flexibel“, dann nicht viel. Auch iterativ wurde schon immer gearbeitet, zum Beispiel in der Forschung und Softwareentwicklung. „Neu ist, dass diese Elemente der Projektarbeit zu einer strengen Systematik verknüpft sind, die Auswirkungen auf die gesamte Organisationsstruktur hat“, sagt Antje Ducki. Die besonderen Formen der eigenverantwortlichen Teamarbeit und der speziellen Arbeitskultur erzeugen eine neue Qualität, eine höhere Verbindlichkeit. Letztere kann auch eingefordert werden. Konsequent agil arbeiten zu wollen, das Team aber ständig mit Sonderaufträgen zu unterbrechen funktioniert nicht. Ein Bekenntnis zur Methode und die Akzeptanz von Regeln sind unabdingbar.

Agile Teams machen doch alles allein – kann die Führungskraft sich zurücklehnen?
„Im operativen Prozess schon“, erklärt Antje Ducki, „den übernimmt ja das Team.“ Doch Führungskräfte haben im Rahmen einer agilen Arbeitsweise andere Aufgaben. In der Regel sind nicht alle Bereiche eines Unternehmens agil organisiert. Eine Führungskraft dient daher als Schnittstelle für Abstimmungen und Absprachen. Sie muss dem Team zudem den Rücken freihalten, damit es, wortwörtlich, in Ruhe gelassen wird. Noch viel wichtiger: Chefin oder Chef muss das Team überhaupt erst mal zusammenstellen und soziale Prozesse gestalten, die für die Zusammenarbeit wichtig sind. Nicht zuletzt geht es darum, eine Kultur zu etablieren, die selbst vorgelebt wird. „Befähigen und unterstützen“, fasst Antje Ducki zusammen. Es bleibt also einiges zu tun.

Ab morgen sind wir agil! Kann man Agilität von jetzt auf gleich verordnen?
Ratsam ist das nicht. Damit eine Umstellung auf agile Prozesse den gewünschten Effekt bringt, muss man vorab einige Erfolgsvoraussetzungen prüfen. Zentrale Fragen: Gibt unser Produkt eine solche Methode überhaupt her? Welche Bereitschaft zeigt der Kunde, die Kundin, sich einzubringen? Sind unsere Beschäftigten in der Lage, agil zu arbeiten? Können wir entsprechende Strukturen einrichten? „Nach dem Motto ‚Probieren wir das doch mal aus!‘ klappt das nicht“, weiß Antje Ducki. Eine sorgfältige Analyse im Vorfeld muss sein. Sie hilft auch, eventuell zu erkennen: Das ist nichts für uns – aber wir können uns auf andere Art verbessern.

Wir stellen Fliesen her. Geht das auch agil?
Die reine Produktion lässt hierfür wenig Möglichkeiten – allerdings ist auch die Notwendigkeit gering. Bleibt man beim Beispiel Fliesen, kann agiles Arbeiten jedoch an anderer Stelle im Betriebsprozess sinnvoll sein: „Will man zum Beispiel neue Märkte erschließen und dafür neue Produkte entwickeln, dann kann man hierfür einen solchen Arbeitsprozess etablieren“, erklärt Antje Ducki. Auch wenn neue Kunden ihre Wünsche und Anforderungen an das Unternehmen herantragen, kann die agile Methode zu passgenauen Lösungen in kürzerer Zeit führen. Wann immer Produkte entwickelt oder weiterentwickelt werden, lohnt sich die Überlegung, ob agile Prozesse hilfreich wären.

Agiles Arbeiten – wie geht das sicher und gesund?
Wo alles geregelt ist, da entstehen kaum gesundheitliche Probleme. Oder? Nicht ganz. Die VBG forscht im Rahmen der Initiative „Mitdenken 4.0“ aktuell an der Thematik, um dazu weiterführende Erkenntnisse zu erhalten und Handlungshilfen zu entwickeln. Sie sind nötig, denn was man leicht übersieht, ist, dass das Regelkonstrukt nur dazu dient, sehr komplexe Aufgaben zu bewältigen. Und das klappt nicht immer reibungslos: Nicht jeder ist für den hohen Kommunikationsaufwand geschult, Zeitaufwände werden falsch eingeschätzt, und manchmal steckt man einfach fest. Druck, Stress und schlechte Stimmung können die Folge sein. Sowohl Führungskräfte als auch die einzelnen Beschäftigten müssen darauf achten, Arbeitsabschnitte zeitlich realistisch zu planen, bestehende Regeln zu verinnerlichen, eine offene Fehlerkultur zu pflegen und Regenerationsphasen sicherzustellen. Ständig wichtig: Leute gezielt zu qualifizieren.

Die VBG-Broschüre liefert einen Überblick über Werte, Methoden und Gestaltung der agilen Arbeit. Sie ist ein Ergebnis der Initiative „Mitdenken 4.0“, die die VBG zusammen mit führenden Partnern der Sozialpolitik lanciert hat. Das Ziel: Auf Basis aktueller Forschungsergebnisse entstehen Handlungshilfen für die Praxis im Betrieb – in Form von Information, Beratung und Qualifizierungsangeboten. Mehr Infos unter www.mitdenken4null.de.
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